■ Die Duftmarken der gesitteten älteren Dame: „Mensch, tut das gut!“
Berlin (taz) – Mensch schwitzt. Das ist ungewohnt, aber normal – zumal bei diesen Temperaturen. Mensch schwitzt nicht nur, er transpiriert, genau gesagt: er stinkt. Auch das ist unangenehm, doch immerhin umgehbar: mensch legt gebührende Riechdistanz zwischen sich und seinesgleichen, hält die Nase fern von Achselhöhlen, verzichtet auf manch freien Platz im Bus, drängt in der Supermarktschlange nicht mehr in Vorgängers Kreuz und geht seiner Wege der Nase nach. Ja, mensch zivilisiert sich angeruchs der körperlichen Dünste.
So könnte das Leben zwar heiß sein, aber auch beträchtlich schön. Könnte, wenn da nicht Heerscharen von betagten, meist weiblichen und frischondulierten Störenfrieden wären. Kaum steigen die Temperaturen, wittern sie die Chance für ihren Einsatz. Bewaffnet mit kleinem, aber durchdringendem Gerät treten sie ihren Feldzug an, die Umwelt zu terrorisieren. Das Corpus delicti immer im Handtäschchen dabei. Schnappverschluß auf, ein Griff in die Tasche, ein aufmunterndes Lächeln: „Hier nehmen Sie, das erfrischt!“ Ritschratsch, ein geübter Handgriff, mensch möchte noch abwehren, aber schon entfaltet sich das weiße Tüchlein und mit ihm ein bestialischer Gestank nach billigstem Parfüm. „Tut gut, nicht wahr?“ zwitschert es unter den grauen Haaren, während das „Gute“ schon Großraumabteile, Kinosäle, Abfertigungshallen oder Jumbo-Jets durchströmt. Überrumpelt von der Geruchsattacke verharrt mensch wie ein wehrloses Wild: weglaufen? (wohin bei der radialen Duftverbreitung?), Nasenflügel zuklappen? (scheitert an der menschlichen Anatomie), Geruchsnerven taubstellen? (gelingt nur nach jahrelangem Training), wütend das Tüchlein greifen und zerknüllen? (macht alles nur noch schlimmer und konserviert den Gestank an den eigenen Fingern), zähnefletschend böse Blicke senden (prallen ab an fehlendem Unrechtsbewußtsein). Denn das ist sie doch, die eigentliche Crux: Ohren, Augen, Haut folgen eigenen Geschmäckern. Was dem einen gefällt, damit möchte man nicht unbedingt den anderen beglücken. Nur die Nase, so glauben die meist weiblichen Tüchlein-Terroristen, muß weltumspannend schön finden, was irgendwer mit stinkendem „Eau“ befeuchtet und in Tütchen verschweißt.
Zöge sich jemand nackt aus in der U-Bahn, die Tüchlein-Damen wären die ersten, die nach der Notbremse kreischten. Drehte jemand seinen Walkman auf, ohne mittels Kopfhörer die Dezibel in die eigenen Ohren zu stopfen, die Straßen glichen einem Klang-Inferno. Ließe jemand auch nur einen kleinen Furz, die Umstehenden rümpften pikiert die Nase. Nur die Tüchlein, die adrett verpackten, dürfen ungeniert der Allgemeinheit Sinne attackieren – ungestraft, in feinster Gesellschaft, und niemand fragt, ob man davon die Nase voll hat. Schnelles Einschreiten wäre vonnöten, die Damen mit den guten Sitten an der Unsitte zu hindern: endlich Verbotsschilder an öffentlichen Plätzen mit kleinen, rotdurchgestrichenen Tüchlein. Warnende Packungshinweise der zuständigen Ministerien: Benutzung verärgert die Umwelt, Gebrauch nur bei Wahrung von mehr als fünf Meter Abstand zum Nachbarn. Auch Auflagen an die Hersteller wären denkbar: Verkauf nur bei Mitlieferung einer Art geruchshemmenden Kopfhörer erlaubt. Irgend was muß jedenfalls passieren, den tüchleinschwingenden Damen das Handwerk zu legen! Oder es muß wieder kälter werden – wer auch immer da oben fürs Wetter zuständig ist, er entwaffne die Handtäschenträgerinnen durch das ganz große geruchsneutrale Erfrischungstuch! Vera Gaserow
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