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■ Die Christdemokraten wollen sich der grenzenlosen Wirtschaft stellen, sie werden aber vor allem mit den eigenen Grenzen konfrontiertDie CDU in der Globalisierungsfalle

In ihrem Vertrauen auf die Beschäftigungseffekte des Wirtschaftswachstums läßt sich die CDU nur noch von der FDP und Karl Marx übertreffen. Für letzteren war es ein Gesetz der ökonomischen Entwicklung, daß sich das Kapital in seinem expansiven Drang immer mehr lebendige Arbeit einverleibt, die Liberalen predigen aus einer anderen Bibel den gleichen Glaubenssatz. Die Union vertraut immerhin noch darauf, daß es einen mittelbaren Zusammenhang zwischen beiden Faktoren gibt, der es ihr erlaubt, am Ziel der Vollbeschäftigung festzuhalten. Zwar mehren sich auch in der CDU die Zweifler. Noch aber gelten die Propheten im eigenen Land, denn die Schaffung von Arbeitsplätzen ist das Gebot, mit dem sich ein positiver Wahlausgang im kommenden September verbindet. Doch die CDU muß mit einer Glaubwürdigkeitshypothek leben. Schon einmal hat sie eine Entlastung des Kapitals gefordert und betrieben und damit das Versprechen verbunden, die Arbeitslosigkeit zu halbieren. Die nationalen Fördermaßnahmen erwiesen sich als unwirksam, der Beschäftigungspakt ist gescheitert, die Zusage wurde und wird nicht eingelöst.

Die Neuauflage des Versprechens erfolgt weit unpräziser, unüberprüfbarer, dem kontrollierten Rahmen nationaler Wirtschaftspolitik enthoben. Die Globalisierung findet Eingang in das christdemokratische Programm. Unter Beibehaltung der gleichen begrenzten angebotsorienten Rezepte dient nun der entgrenzte Wirtschaftsraum als deus ex machina neuer Beschäftigungspotentiale. Innovationen, neue Technologien, neue Dienstleistungsgesellschaft, kurz: die Globalisierung als Chance – das ist die zukunftsgerichtete Botschaft, die vom CDU-Parteitag ausgeht.

Nun ist die Globalisierung kein neues Phänomen. Was mit ihr an Heil verbunden wird, reflektiert zugleich das Unvermögen, dieses Ziel nicht bereits früher erreicht zu haben. All die schönen Visionen bergen auf ihrer Kehrseite die Frage nach dem Versagen dieser Bundesregierung, dieser CDU in ihrer nunmehr 15jährigen Regierungszeit. Eine Frage, die sich die Union im Wahlkampf nur ungern wird stellen lassen. Wollte sie diese Frage beantworten, käme die Union schnell weg von den Chancen, hin zu den Grenzen, welche die Globalisierung nationalstaatlichen Handelns setzt. Sie käme zu ihrer Unfähigkeit, die globalen Kapitalströme zu kanalisieren, die teilweise exorbitanten Gewinne einzufangen und für die eigene Politik nutzbar zu machen.

Der FDP dürfte das egal sein, weil sie sich auf der Seite der Gewinner sieht. Die CDU jedoch findet immer mehr Verlierer dieses Prozesses auch in den eigenen Reihen. Die Deklassierungstendenzen im einst sicher geglaubten Mittelstand beschäftigten den Parteitag. Ginge sie dem auf den Grund, käme die Union zu ähnlichen Problemanalysen, wie sie die Sozialdemokraten und die Grünen umtreiben. Analysen, wie sie auch weitsichtigere Christdemokraten wie Kurt Biedenkopf oder Heiner Geißler bereits seit längerem in ihrer Schublade haben.

Diesen ist bewußt, daß Globalisierung eher kapital- denn beschäftigungsintensive Innovationen bedeutet, daß auch die favorisierten Bio- und Gentechnologien weniger kalkulierbare Arbeitsplatzeffekte als vielmehr – zum Teil – unkalkulierbare Risiken enthalten, daß die hochgelobten neuen Dienstleistungsverhältnisse sich häufig als die alten Dienstmagdverhältnisse entpuppen. Und denen dürfte vor allem auch bewußt sein, daß die Globalisierung gerade wegen der eher geringen Arbeitspotentiale, die sie induziert, eine Änderung der sozialen Sicherungssysteme Bismarckscher Prägung verlangt. Biedenkopf predigt das seit langem, die Union will das nicht wahrhaben. Sie hofft darauf, daß „Die Chancen der Globalisierung“ ihr ohne gravierende Strukturänderungen zum Wahlsieg verhelfen.

Die Hoffnung muß noch nicht einmal trügen. Ein Szenario, in dem die Union, gestützt auf die positiven Prognosen der Frühjahrsgutachten der Wirtschaftsforschungsinstitute, die blühende Landschaft einer sich belebenden Wirtschaft malt, dürfte der Wählerschaft doch attraktiver erscheinen als das der Opposition, die die Wirkungen der Globalisierung in ihren düstersten Farben malt. Daß gegen die schöne Vision die richtige Analyse nicht hilft, mußte die SPD bereits im 90er Wahlkampf erfahren.

In der oberflächlich ideologischen Begrenzung auf globalistische Positionen drückt sich nicht nur die kurzfristige Hoffnung, sondern zugleich auch das Unvermögen der CDU aus, die zersetzende Wirkung, die der Epochenbruch auf sie selbst ausübt, zu begreifen. Indem sie die Globalisierung auf ihre ökonomische Dimension beschränkt, verkennt sie die gesellschaftlichen und politischen Auswirkungen, die diese auch für die eigene Klientel mit sich bringt. Für Helmut Kohl und die Mehrheit des Parteitages bildeten Familie und Nation zentrale Kategorien des christdemokratischen Selbstverständnisses auch im 21. Jahrhundert. In ihren Leitbildern ignorierten sie beharrlich die Individualisierungstendenzen, die prägend für die zweite Moderne sind.

Auf die Entleerung staatlicher Kompetenz, auf die Delegitimierung des nationalen Handlungsrahmens reagiert die CDU mit einer kulturellen Aufladung des Nationenbegriffs, der seine Entsprechung in einer beharrlichen Ausgrenzung alles Ausländischen findet.

Das ist eine Politik, die, gerade obwohl sie ihre funktionale Bedeutung verliert, als christdemokratisches Projekt um so verbissener weitergetrieben wird. Die CDU verhält sich ähnlich blind wie die Sozialdemokratie seinerzeit gegenüber dem Untergang der klassischen Industriearbeiterschaft. Für die SPD führte das zu dem bislang ungelösten Problem, zu keiner kohärenten Wählerschaft mehr zu sprechen, sondern unterschiedliche Segmente zu bedienen. Auch die Wählerschaft der Union birgt eine Segmentierung in sich.

Kohl mag die Risse, die sich unter der Oberfläche bereits abzeichnen, noch klammern. Die Brüche, auf die sie hinweisen, vermag er allerdings nicht mehr wahrzunehmen. Die verlangen andere Antworten, als er zu geben bereit und wohl auch in der Lage ist. Diese Antworten könnte Biedenkopf eher formulieren als so mancher, der als junger Wilder tituliert wird und dabei recht alt aussieht. Und diese Antworten könnte eher ein Schäuble als ein Kohl umsetzen. Weil die Partei das spürt, wird die Pesonaldebatte nicht aufhören – bis Kohl abtritt. Dieter Rulff

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