Die CSU im freien Fall: Arrogant und ignorant
Der Niedergang begann mit einem Sieg: Über 60 Prozent hatte Edmund Stoiber bei den Wahlen 2003 geholt. Doch danach vergrätzte er mit seiner Politik immer mehr Wähler.
Mürrisch bat der Exministerpräsident im CSU-Vorstand ums Wort, begrüßte die Mitglieder und begann mit dürren Worten, das Desaster zu beschreiben. In der Staatskanzlei saß jetzt ein Sozialdemokrat, die CSU fand sich unversehens in der Opposition wieder. Laut Protokoll sagte der frühere Regierungschef, es gebe jetzt "veränderte Verhältnisse". Manches müsse sich "in der Zukunft umgestalten". Was bisher "durch die Staatskanzlei erledigt worden sei, muss man jetzt selber tun", bedauerte der Mann und kam auf die parteiinterne Opposition zu sprechen. "Ich weiß, dass schon längere Zeit Bestrebungen im Gange waren, mich abzuservieren", sagte er und sprach von "merkwürdigen Methoden", von denen man sich entfernen müsse.
Ergebnisse der letzten drei Umfragen, die von den Meinungsforschungs- instituten Emnid, GMS und der Forschungsgruppe Wahlen zwischen dem 10. und dem 18. September durchgeführt wurden:
CSU: 47-49 Prozent
SPD: 19-20 Prozent
Grüne: 8-10 Prozent
FDP: 7-9 Prozent
Freie Wähler: 7-8 Prozent
Linke: 4-5 Prozent
Sonstige: 3-5 Prozent
Nein, das ist nicht O-Ton Günther Beckstein aus dem CSU-Vorstand nach vergeigter Landtagswahl, obwohl es tatsächlich so ähnlich kommen könnte. Die Äußerungen sind historisch. Sie fielen am 8. Januar 1955. Es war das letzte Mal, dass mit Hans Ehard ein christlich-sozialer Ministerpräsident abgewählt wurde und die CSU mit dazu, obwohl sie bei der Landtagswahl im November 1954 mit 38,4 Prozent stärkste Partei geworden war.
Als damals alle mit einer Koalition zwischen CSU und Bayernpartei rechneten, handelten die Sozialdemokraten Wilhelm Hoegner und Waldemar von Knoeringen blitzschnell. Sie zogen die Bayernpartei, die von der CSU mit demütigenden Vorbedingungen konfrontiert worden war, auf ihre Seite, dazu die FDP und die Splittergruppe Gesamtdeutscher Block/Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten. So entstand unter Hoegners Führung die legendäre Viererkoalition.
Ein langes Leben war ihr nicht beschieden, zu heterogen war das Bündnis und zu verlockend waren für die reaktionäre Bayernpartei die bald einsetzenden Abwerbeversuche der CSU. 1957 war die einzige aus Wahlen hervorgegangene Regierung ohne CSU am Ende, und seitdem hat sie ihre Macht in Bayern auf unnachahmliche Weise gefestigt.
53 Jahre später sind die nach einer Palastrevolte gegen den langjährigen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber in ihre Spitzenämter gekommenen Günther Beckstein und Erwin Huber drauf und dran, die CSU in eine verheerende Niederlage zu führen. Ob der Ministerpräsident und Spitzenkandidat und der Parteichef die absolute Mehrheit ganz verspielen werden, ist eher fraglich. Zu erwarten ist aber, dass die CSU von ihrer jahrzehntelangen Sonderstellung in Deutschland auf Normalmaß gestutzt und in den nächsten Jahren einem weiteren Erosionsprozess unterworfen sein wird. Denn bei der Behebung von Fehlern reagiert die CSU traditionell schroff und ohne Ansehen der Person. Beckstein würde zwar für eine Übergangszeit noch gebraucht, aber Parteichef Huber und seine überambitionierte Generalsekretärin Christine Haderthauer sind gefährdet.
2003 hatte Edmund Stoiber von den Bayern noch einmal ein Trostpflaster erhalten und 60,7 Prozent bekommen, was nach Mandaten für eine Zweidrittelmehrheit im bayerischen Landtag reichte. Die SPD sackte auf 19,6 Prozent ab, die Grünen hielten sich bei 7,7 Prozent. In diesem fulminanten Sieg aber lag der Keim des Niedergangs.
Zwar schien alles vorbereitet für weitere 50 Jahre CSU. Niemand konnte ahnen, dass dieses Ergebnis dem eher nüchternen Machtverwalter Stoiber und seiner Entourage so in den Kopf steigen würde. Stoiber begann eine Sparkampagne, die viele seiner Wähler verärgerte. Vorrang hatte das Ehrgeizprojekt Nummer 1, einen schuldenfreien Haushalt zu schaffen.
Dafür musste trotz ordentlicher Haushaltslage massiv gespart werden: bei den Schülern, den Lehrern, den Sozialdiensten. Diverse Verwaltungsreformen kehrten das Unterste zuoberst, der Stoiber-treue öffentliche Dienst war vergrätzt. Erstmals war im Land ein Klima spürbar, in dem sich die von der CSU immer wieder heraufbeschworene Identität zwischen Partei und Staat aufzulösen begann.
In der CSU hat man das zwar wahrgenommen, aber erst einmal verdrängt. "Wird schon wieder gut gehen", war die Devise, für "50 plus X", die Zauberformel, wird es schon reichen. Es hatte ja immer gereicht, trotz Arroganz und Ignoranz. Was hat die CSU in den letzten Jahrzehnten an Affären ausgesessen - von Amigo bis Zwick, von Plutoniumschmuggel bis zum Stasi-Offizier Schalck-Golodkowski, von Monika Hohlmeier bis zur Bayerischen Landesbank.
Acht eng beschriebene Seiten füllt allein die Aufzählung der Untersuchungsausschüsse aus den letzten Jahrzehnten in der Landtagschronik. Die Opposition hat zwar fleißig aufgeklärt, die CSU hat aber stets mit ihrer Mehrheit beschlossen: "Nix dran". Die Opposition war frustriert, die CSU hat jubiliert. So war bisher die Geschäftsordnung im Landtag. Die Wähler wussten bei all dem nicht so recht und hielten sich mehrheitlich auf der für sie sicheren Seite, das war für sie die CSU. Es ging ihnen ja auch nicht schlecht mit ihr.
Doch jetzt: der Niedergang. Alle Alarmlichter brennen in der CSU-Zentrale, aber niemand schafft die Schubumkehr. Zuletzt sagten die Umfragen zwischen 47 und 49 Prozent voraus, bei 46 Prozent dürfte die magische Grenze für die absolute Mehrheit liegen, die davon abhängt, wie viele Parteien in den Landtag kommen.
Der Absturz wird außerhalb Bayerns gern der Tatsache zugeschrieben, dass Beckstein und Huber mit einem Putsch Anfang 2007 den Erfolgsgaranten Stoiber vertrieben haben. Für eine letzte Amtszeit wäre Stoiber immer noch besser gewesen, heißt es. Das ist ein Irrtum. So ungeschickt sich Beckstein und Huber im Wahlkampf auch angestellt haben, sie zahlen Stoibers Zeche mit. Sie sagen es nur nicht, was rücksichtsvoll, aber vielleicht doch zu naiv ist. Ihre Angst, Stoiber könne kurz vor der Wahl noch über sie herfallen, ist groß. Dabei ist das Urteil der Bayern über Stoiber eindeutig: Nur knapp 30 Prozent wünschen sich ihn zurück.
Nach den Eskapaden von 2005, als er sich von Bundeskanzlerin Angela Merkel ein Spezialministerium zimmern ließ, um sich dann doch wieder nach Bayern zurückzuziehen, wo Beckstein und Huber bereits um die Stoiber-Nachfolge kämpften, war Stoiber nicht mehr zu halten. Umso mehr, als er dann bis Ende 2006 bereits die Mehrheit in der mächtigen Landtagsfraktion verloren hatte.
Für Stoiber-Nostalgie gibt es also keinen Anlass. Der letzte Tort, den er seinen Nachfolgern noch antun konnte, war seine neunmonatige Abschiedsrunde 2007 durch Bayern, während der Beckstein und Huber untätig warten mussten. Diese Monate fehlten den beiden, um sich richtig warm zu laufen.
Beckstein und Huber übernahmen schließlich eine gärende, an der Basis demotivierte Partei. Entsprechend lustlos verlief der Wahlkampf, abgesehen von den taktisch unverständlichen Tiraden gegen den Winzling Die Linke. Viel Hoffnung und wenig Ehrgeiz legte das Duo an den Tag. Das Wahlkampfkonzept ein langweiliges Konglomerat aus "Sommer, Sonne, Bayern"-Plakaten und Hetztiraden gegen alles, was sich links von der CSU regt. Wofür die Partei unter der neuen Führung steht - keiner weiß es so genau.
Hubers Wahlkampfreden sind eine Ansammlung von hölzern vorgetragenen Fürbitten: "Wir stehen zusammen! Für eine starke CSU! Für unsere Heimat! Für Deutschland! Für eine gute Zukunft! Für ein starkes Bayern", fleht der Niederbayer, und das klang von Anfang an gar nicht selbstbewusst. Das vor allem aber wollen die CSU-Wähler: Kerle an der Spitze, keine Angst vor niemand. Hasenfüße mögen sie nicht, und schon gar nicht eine Hasenfuß-Doppelspitze. Dass die beiden von angenehmem Wesen und affärenfrei sind, zählt bei der CSU-Klientel eher zu den Sekundärtugenden.
Kein gütiger Landesvater
Außerdem verspielte der CSU-Chef binnen kurzem den Einfluss der CSU in Berlin und damit ihren ehernen Anspruch, Regionalpartei mit bundespolitischem Anspruch zu sein. Derweil machte Beckstein schwere Fehler an der Heimatfront. Ihm gelang das Umschalten vom bisherigen Rambo-Image des innenpolitischen Hardliners auf die Attitüde des gütigen Landesvaters nicht.
Dass man nach seiner Ansicht mit zwei Maß Bier - immerhin eineinhalb Liter mit dem üblichen Schankverlust - noch Auto fahren könne, ist derzeit der Hit auf dem Münchner Oktoberfest. Früher war da bei Beckstein "Null Toleranz". Und Becksteins Behauptung, dass alle "anständigen" Bayern CSU wählten, warf die Frage auf, ob die andere Hälfte der Bayern unanständig sei.
Er habe das ja nicht charakterlich gemeint, schob Beckstein verlegen nach, sondern so, wie man eben einen "anständigen" Schweinsbraten esse. Gags, die man langatmig erklären muss, sind kontraproduktiv. Auch er hat bisweilen das Flehen in der Stimme. "Wenn man zehn Jahre mit seinem Steuerberater zufrieden ist, geht man doch nicht zu einem anderen", wirbt der Franke.
47, vielleicht sogar 46 Prozent würden der CSU wohl noch für eine knappe absolute Mehrheit an Mandaten im Landtag reichen - dann darf es in der Fraktion aber keine Dissidenten geben. Auf solch schmaler Basis zu regieren, ist die CSU nicht gewohnt. Die FDP tut derweil das, was sie immer tut und am besten kann: Sie hält sich bereit, am liebsten für die CSU. Auch die Freien Wähler würden im Ernstfall mehr zur CSU tendieren als zu einer neuen Viererkoalition, die SPD-Spitzenkandidat Franz Maget gern schmieden würde.
Trotz der im freien Fall befindlichen CSU hat sich eine klare Gegenmacht in den letzten Jahren nicht herausgebildet. Die SPD stagniert, die Grünen legen leicht auf rund neun Prozent zu, FDP und Freien Wählern werden sieben Prozent vorhergesagt.
Die Situation entspricht einer Analyse, die der Soziologe Alf Mintzel schon 1998 veröffentlicht hat. Die Übermacht des "Parteikolosses" CSU könne sich nur selbst gefährden. Genau das scheint jetzt eingetreten zu sein. Der Bayern SPD prophezeite Mintzel schon damals die "Fortsetzung der Leidensspirale".
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