■ Die CDU und der „Glücksfall Sachsen-Anhalt“: Die Volksfront verläuft im Westen
Auf den Kanzler alleine will es die CDU nicht mehr ankommen lassen. Der „Glücksfall Sachsen-Anhalt“ bescherte den Konservativen, worauf sie schon befürchteten, für immer verzichten zu müssen – einen ideologischen Wahlkampf entlang klarer Frontlinien. Fünf Jahre, nachdem die sozialistischen Staaten samt ihres philosophischen Überbaus zusammengebrochen sind, zu einer Zeit, da die Frage „What's left?“ ihre hinreichend bereinigte Antwort erhalten hat, meint man wieder eine richtungsweisende Alternative gefunden zu haben. „Zukunft statt Linksfront“ knüpft sinnfällig an die Parole „Freiheit statt Sozialismus“ an, mit der Kohl seinen ersten Kanzlerwahlkampf bestritt. An diesem Umstand ist weniger interessant, daß der CDU-Vorsitzende seinerzeit scheiterte, als vielmehr die Prämisse der CDU-Strategen, daß das soziokulturelle und politische Feld auch heute noch empfänglich für solch eine Polarisierung ist.
Zwar bestätigt die SPD mit ihrem schwankenden Kurs seit der Wahl von Sachsen-Anhalt fortlaufend, daß die Kooperation mit der PDS auch für sie eigentlich einem Tabubruch gleichkommt. Doch dieses Tabu war zunächst eines, was die Bürgerbewegung der DDR gegenüber den ehemaligen Machthabern und ihrer Nachfolgepartei errichtete. Diejenigen, die in der Tradition der ehemaligen Blockparteien stehen, bewegen sich aufgrund ihrer Biographie zwischen diesen beiden Polen. Die Gemeinsamkeit, Funktionselite der ehemaligen DDR gewesen zu sein, verbindet dabei ein Großteil der Mitglieder der CDU- Ost nach wie vor stärker mit der PDS als mit der Bürgerbewegung. Daß die Linie der strikten Abgrenzung gegenüber der PDS mit Sachsen-Anhalt verlassen wurde, mag seinen taktischen Anlaß in der Bundestagswahl haben, seine Begründung findet dieser Tabubruch in der Tatsache, daß die Bürgerbewegung als diejenige Kraft, die die SED entmachtete, dem Wiedererstarken von deren Nachfolgepartei außer dem moralischen Verdikt nichts entgegensetzen konnte.
Auf dieses strategische Dilemma hat auch die CDU keine Antwort, obwohl die Konservativen sie dringend bräuchten. Denn bei den letzten Wahlen erlitten sie die schwersten Einbrüche. Statt dessen ideologisieren die Christdemokraten mit der Volksfrontkampagne den Konflikt in der geistigen Tradition der alten Bundesrepublik und verlagern die Auseinandersetzung damit in den Westen. Dort wird, so ist das Signal, das mit der Kampagne von der CDU ausgeht, die Bundestagswahl gewonnen – oder verloren. Wo es eigentlich um nichts geht, kann Kohl leicht von einer Richtungsentscheidung für die Zukunft Deutschlands sprechen.
Somit macht die CDU die Wahl zum Indikator dafür, wieweit die alte Bundesrepublik noch in sich selbst befangen ist, und wie wenig sie sich gegenüber den neuen Bundesländern geöffnet hat. Aus diesem Grund revoltieren die dortigen CDU-Landesfürsten gegen die ideologische Zweckentfremdung der Magdeburger Geschehnisse durch das Konrad-Adenauer- Haus. Sie wissen, daß Hintzes Versuch, das politische Feld mit der „Zukunft statt Linksfront“-Alternative zu hegemonisieren, im Osten als erneuter Beleg des Hegemonialanspruchs des Westens interpretiert wird. Die Ironie der Geschichte will es also, daß die PDS als politische Verkörperung des „Ostens an sich“, die Ost-CDU dazu bringt, auf größere Distanz zu ihrer Zentrale zu gehen, will sie nicht ein weiteres Absacken ihrer Wahlergebnisse riskieren.
Die Weigerung, den Rote-Socken-Wahlkampf mitzutragen, ist ein deutliches Indiz dafür, daß man in den fünf östlichen CDU-Landesverbänden auf mehr Eigenständigkeit setzt. Nun trennt sich wieder ein wenig, was doch nicht so eng zusammengehörte. Womit die CDU, wenn auch ungewollt, einmal mehr die treibende Rolle der PDS bestätigt hätte. Dieter Rulff
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