■ Die CDU erwartet hilflos ihren unaufhaltsamen Niedergang: Es wird lustig werden
Lange Jahre hat die linke und liberale Presse sich ebenso eifrig wie erfolglos gemüht, das Ende der Kanzlerschaft Helmut Kohls publizistisch herbeizuzwingen. Wie oft prophezeite beispielsweise der
Spiegel in den achtziger Jahren apodiktisch den Anfang vom Ende seiner politischen Karriere? Zuletzt in der ersten Hälfte des Jahres 1989 – der Zusammenbruch des sozialistischen Lagers, der Fall der Mauer und die deutsche Vereinigung waren noch nicht in Sicht – erschien der ungeliebte Pfälzer weitgehend chancenlos, seine Bundesregierung über die nächsten Wahlen retten zu können.
Oft war bei dem journalistischen Endlosfeldzug für den Machtwechsel in Bonn der Wunsch als Vater des Gedankens stark, aber auch der vor allem in seiner Fähigkeit zum Machterhalt gerne unterschätzte Kanzler noch stärker. Inzwischen scheinen sich die linken und liberalen Zeitungen bei ihrer auf die Dauer zwangsläufig etwas monotonen Anti-Kohl-Kampagne nachhaltig erschöpft zu haben. Nur so läßt es sich erklären, daß nach dem Rückzug Steffen Heitmanns, dem absehbaren Machtwechsel in Sachsen-Anhalt und weiteren unzweideutigen Symptomen des rapiden Niedergangs der CDU die linken und liberalen Blätter in ihren gestrigen Ausgaben den Zustand der Union keiner sonderlichen Erörterung für würdig erachteten. Dafür schilderte Karl Feldmayer in der Fankfurter Allgemeinen Zeitung unter dem Titel „Das Undenkbare denken, Untergangsstimmung in der CDU“ sachkundig und nüchtern die tatsächlich existentielle Bedrohung, vor der die CDU steht, und die Mischung aus Ignoranz und Hilflosigkeit, mit der die erfolgreichste Partei der westdeutschen Nachkriegsgeschichte ihren Ansehensverfall bislang tatenlos hinnimmt.
Die Analyse der FAZ ist stimmig, es wird womöglich noch schlimmer kommen: Die CDU wird in der einstigen DDR eine Serie von Wahlniederlagen einstecken müssen, wie sie sich vernichtender kaum ausmalen läßt. Bei den Kommunalwahlen in Brandenburg am kommenden Sonntag sieht alles danach aus, als ob die Bonner Regierungspartei schlechter abschneiden könnte als die PDS. Bei Meinungsumfragen in Sachsen-Anhalt erreicht sie negative Rekordwerte von knapp 12 Prozent. Nach einer Umfrage des Forsa-Institutes glauben nur noch 25 Prozent des Wahlvolkes, daß die Kohl-Partei im Oktober 1984 noch einmal die Bundestagswahlen gewinnen könnte. 45 Prozent rechnen statt dessen mit einem Sieg der SPD. Wenn sich die rot-grüne Koalition in Niedersachsen in den Landtagswahlen im März behaupten kann und die CDU nur noch ein weiteres ostdeutsches Land verliert, verfügt die SPD Ende nächsten Jahres über eine Zweidrittelmehrheit im Bundesrat. Im Konfliktfall kann diese im Bundestag nur von einer Zweidrittelmehrheit überstimmt werden.
Und was für die CDU noch verschärfend hinzukommt: Die FDP hat in Sachsen-Anhalt demonstriert, daß sie in der Distanzierung von der Union die einzige Möglichkeit sieht, noch aus dem sinkenden Schiff zu springen. Die Liberalen mit ihrem feinen Instinkt für die Pfründe und den Machterhalt können nicht nur die Wahl des Bundespräsidenten dafür nutzen, sich aus der looser-Allianz mit der Union davonzustehlen und sich wieder der ohne eigenes Verdienst noch vergleichsweise erfolgreich erscheinenden SPD anzudienen.
Vor diesem Hintergrund stellt sich die schlichte Frage, ob die CDU noch in der Lage ist, sich an den eigenen Haaren aus dem Sumpf zu ziehen und den Trend umzukehren. Die schlichte Antwort lautet: Nein. Das „Superqualjahr“, das unser geschätzter Kolumnist Mathias Bröckers vor ein paar Tagen in dieser Zeitung eingeläutet hat, wird zu einer Kette von Plebisziten gegen die Kohl-Partei werden. Ihr Großer Vorsitzender hat bekanntermaßen alle potentiellen Rivalinnen und Rivalen gedemütigt und in die Einflußlosigkeit getrieben. Die CDU hat in Zeiten der tiefen Müdigkeit an den Volksparteien ohnehin schon Probleme genug, doch gleichzeitig ist Helmut Kohl ihr entscheidendes Problem – und als solches nicht Teil einer wie immer gearteten Lösung. Da der Kanzler dies naturgemäß nicht erkennen kann, wird die Union sich aus dem Zustand hilfloser Agonie noch bestenfalls zu einer mehr oder minder panischen Selbstzerfleischung aufschwingen. Alle, die nicht mit der Kohl- Partei sympathisieren, sondern schon so lange auf ihren Niedergang hoffen und ihn mit Genuß und Freude verfolgen können, brauchen nur abzuwarten. Es wird lustig werden. Michael Sontheimer
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