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■ Die Bundesregierung will den Paragraphen 175 ersetzenSchädlicher Schutzparagraph

Die Jugendschutzvorschrift, die die Bundesjustizministerin präsentiert hat, geht am eigentlichen Ziel, Jugendliche beiderlei Geschlechtes vor sexuellem Mißbrauch zu schützen, vorbei. Sexuelle Handlungen von über 18jährigen mit unter 16jährigen sollen künftig strafbar sein, wenn „ein Entgelt oder ein vergleichbarer Vorteil“ versprochen oder gewährt wird. Dies bedeutet, daß Beziehungen zwischen Freiern und Strichern kriminalisiert werden. Jugendprostitution aber ist ein soziales Problem, das sich nicht mit dem Strafgesetzbuch lösen läßt: Die Kontakte zwischen Strichern und Freiern werden sich in den privaten Raum verlagern, mit der Folge, daß die Jugendlichen für Sozialarbeiter kaum noch zu erreichen sind. Unter diesen Umständen wird eine Aids-Prävention ebenso erschwert, wie Versuche, den Jugendlichen eine Perspektive jenseits des Strichs zu bieten.

Problematisch ist auch die undifferenzierte Verwendung des Begriffes „sexueller Mißbrauch“. Die oft jahrelang andauernde sexuelle Gewalt, der Mädchen und Jungen von klein auf durch Väter, Brüder oder andere Bezugspersonen ausgesetzt sind, kann nicht mit dem gleichen Begriff gefaßt werden wie Beziehungen, die jugendliche Stricher mit Freiern eingehen. Davon auszugehen, daß diese Beziehungen allein wegen des erheblichen Altersunterschiedes und der Abhängkeit der Jugendlichen schädlich und als Mißbrauch zu betrachten sind, wird der Realität nicht gerecht. Sie können, müssen aber nicht schädigend für die Jugendlichen sein.

Fragwürdig ist auch, daß eine Person über 21 bestraft werden soll, wenn sie eine Person unter 16 „mißbraucht“, indem sie deren Unreife ausnutzt, um sexuelle Handlungen an ihr vorzunehmen. ExpertInnen haben den Begriff Unreife bei einer Anhörung des Bundesrates im März dieses Jahres als zu schwammig kritisiert. Dieser höchst subjektive Begriff wird in der Praxis kaum handhabbar sein. Es ist zu befürchten, daß Jugendliche geschädigt werden, wenn sie ihre Intimsphäre vor Gericht ausbreiten oder gar gegen ihre SexualpartnerInnen aussagen müssen.

Schon deshalb sollten die Jugendlichen das Recht haben, gegen eine Strafverfolgung Widerspruch einzulegen. Dies sieht der Gesetzentwurf aber ebensowenig vor, wie die Möglichkeit, wegen Geringfügigkeit von einer Strafverfolgung abzusehen.

Die Neufassung des Paragraphen 182 ist einzig und allein dem Umstand geschuldet, daß die Christdemokraten das einzig Sinnvolle, nämlich eine ersatzlose Streichung der Paragraphen 175 und 182, nicht mittragen wollen. Also muß eine Nachfolgelösung her, so fragwürdig sie auch sein mag. Der Entwurf der Bundesregierung ist die verschärfte Fassung eines Beschlusses des Bundesrates vom 6.November 1992. Ursprünglich sollten sexuelle Handlungen zwischen einer Person über 21 und einer Person unter 16 strafbar sein, wenn sie durch das Versprechen oder Gewähren von nicht unerheblichen Vermögensvorteilen oder unter Ausnutzung einer Zwangslage zustandekommen. Der Regierungsentwurf hat die Altersgrenze auf 18 heruntergesetzt.

Das Strafrecht taugt nur sehr bedingt dazu, Kinder und Jugendliche vor sexuellem Mißbrauch zu schützen. Die Förderung einer freien sexuellen Entfaltung und Selbstbestimmung ist da allemal wirksamer als Paragraphen. Dorothee Winden

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