■ Die Bundesregierung bemüht sich darum, daß die neue Welthandelsorganisation WTO in Bonn angesiedelt wird: Auf Stimmenfang
Es war eine peinliche Vorstellung, die eine gemeinsame Delegation der Bundesregierung und der Stadt Bonn gestern am Genfer UNO-Sitz lieferte. Mit ihrer Bewerbung um die Ansiedlung der neuen Welthandelsorganisation (WTO) – Nachfolgerin der Gatt, die in Genf logiert – am Rhein statt an der Rhône hat die Bundesregierung einen Entscheidungsprozeß, der eigentlich politischen Kriterien folgen sollte, auf das Niveau des Feilschens um Privilegien heruntergedrückt. Ist ein WTO-Sitz in Bonn angesichts der Notwendigkeit der Kooperation mit anderen internationalen Organisationen sinnvoll? Können sich vor allem die ärmeren Staaten unter den bereits über 120 Gatt- und künftigen WTO-Mitgliedern nach dem Umzug ihrer Bonner Botschaften nach Berlin eine zweite Dependance am Rhein leisten? Statt von diesen Fragen wird die Diskussion jetzt vorrangig von Erörterungen über zusätzliche Finanz-, Steuer- und Statusvorteile für bereits überprivilegierte Diplomaten und internationale Beamte bestimmt – wobei sich die Bundesregierung bislang beharrlich weigert, die von ihr versprochenen Geschenke gegenüber den deutschen SteuerzahlerInnen einmal auf Mark und Pfennig zu beziffern. Sollte sich die Bundesregierung mit ihrer Bewerbung durchsetzen, würden auf die ohnehin bereits hoffnungslos überschuldete UNO und ihre Unterorganisationen erhebliche Zusatzkosten zukommen. Denn deren Beschäftigte dürften die von Bonn angeboteten zusätzlichen Privilegien für die MitarbeiterInnen der neuen UNO-Unterorganisation WTO dann auch für sich beanspruchen.
Allerdings ist mit einem Erfolg der Bonner Bewerbung bislang nicht zu rechnen. Nicht zuletzt weil es zur Ansiedlung der Welthandelsorganisation in der Hauptstadt eines der vier größten EU-Staaten zumindest des Einverständnisses der anderen drei (Frankreich, Großbritannien, Italien), wenn nicht gar sämtlicher EU-Mitglieder bedürfte. Das weiß auch die Bundesregierung und hat sich dennoch um dieses Einverständnis bislang jedenfalls nicht bemüht. Im übrigen hat sie ihre Bewerbung im letzten Moment eingereicht. Dies steht in deutlichem Widerspruch zur gestrigen Behauptung von Wirtschaftsstaatssekretär Schomerus auf der Genfer Pressekonferenz, die Bewerbung sei „ernsthaft und nicht taktisch“. Es bleibt der Eindruck, daß das Bonner Begehren vorrangig innenpolitisch begründet ist und sich die Bonner Koalition unter Führung des Wirtschaftsministers und Berliner FDP-Vorsitzenden Günter Rexrodt als Ausgleich für den Wegzug von Regierung und Parlament um die Ansiedlung einer großen internationalen Organisation in den bald leerstehenden Gebäuden am Rhein bemüht. Dies könnte ihr dort bei der Bundestagswahl am 16. Oktober so manche Stimmen bringen. Selbst wenn die Bewerbung schließlich scheitert. Andreas Zumach, Genf
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