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Die Börse auf Luandas Straßen

Der Dollarhandel in Angolas Hauptstadt ist Rückgrat und Krisenbarometer der von Unita-Rebellen umzingelten Metropole  ■ Aus Luanda Willi Germund

Luanda (taz) – Carmens Büro gehört zu den besseren Plätzchen: Unter den Säulen von Sonangol, dem rosaroten Hauptquartier der angolanischen Ölgesellschaft, räkelt sie sich auf einem rohgezimmerten Schemel im kühlen Schatten und wedelt mit einem Bündel Kwanzas-Scheinen. In den Falten ihres rot-grün bedruckten Umhangs versteckt sie einen Taschenrechner und eine prallgefüllte Handtasche. Über Kunden kann sich die pummelige Mittdreißigerin in der Mitte von Angolas Hauptstadt nicht beklagen: sie kauft und verkauft auf Luandas „Havanna Börse“ US-Dollars.

Der nach der Hauptstadt der sozialistischen Bastion Kuba benannte Geldmarkt umschreibt in Luanda ein äußerst marktwirtschaftliches Treiben von Hunderten von Frauen an allen Ecken der Stadt. Und wie es sich für eine ordentliche Börse gehört, funktioniert auch hier der Dollarhandel als Krisenbarometer. Wenige Tage vor den Wahlen im September standen Angolas Kwanzas noch bei stolzen 2.000 pro Dollar. Seit der Chef der rechtsgerichteten Unita, Jonas Savimbi, nach seiner Wahlniederlage das Land in einen neuen Krieg stürzte, ist der Kurs massiv verfallen. Carmen blättert mittlerweile bis zu 13.000 Kwanzas für einen Dollar hin. Und die Perspektiven in der von Rebellen umzingelten Stadt sind düster. Carmen, ganz monetäre Expertin: „Der Kwanza wird weiterfallen.“

In den Jahren angolanischer Planwirtschaft etablierte sich nicht nur auf der „Havanna Börse“ eine freie Untergrundwirtschaft; die ehemals illegalen Märkte „Calaboca“ (Halt den Mund) und „Roque Santeiro“ (nach dem Helden einer brasilianischen Seifenoper) garantieren jetzt auch in Zeiten des neuen Krieges das Überleben: gefrorener Fisch, in der Sonne bratende Verhütungsmittel, Stereo- und Videoanlagen – die beiden Märkte bieten alles, was der westliche Konsum zu bieten hat. Frisches Gemüse freilich fehlt. Angolas Hauptstadt ist vom Rest des Landes – so groß wie Spanien, Frankreich und Italien zusammen – abgeschnitten. Die Landwirtschaft des afrikanischen Staates liegt lahm. Von den insgesamt 1,7 Millionen Angolanern, die auf der Flucht sind, strandeten viele Tausende in Luanda – und drängeln sich nun zu Dutzenden in den Wohnungen von Verwandten und Freunden. Der Hafen der Stadt wurde mehr denn je zur wirtschaftlichen Nabelschnur.

Die 33jährige Esmeraldina Ferrera macht dank des Krieges ihr Glück. „Meine Geschäfte gingen noch nie so gut“, strahlt die ledige Mutter von zwei Kindern. Alle sechs Wochen fliegt sie nach Südafrika, kauft Konsumartikel für drei Container ein und verschifft sie nach Luanda. „Wenn ich es mir einfach machen will, verkaufe ich die Ware im Hafen. Aber in der Stadt gibt es mehr Profit“, erzählt die Besitzerin eines roten Porsche Targas, auf dessen Heck das ovale weiße Schild mit dem Zeichen „D“ prangt. Ob gestohlen oder von Gebrauchtwagenhändlern verhökert, Esmeraldina möchte die Vorgeschichte ihres Luxusschlittens nicht näher kennen.

Immer wieder liefern sich Luandas Polizisten regelrechte Feuergefechte mit Banditen, die sich mit einem Satz über die Hafenabsperrungsmauer zu Teilhabern am Importgut mausern wollen – Diebstahl, der riskant werden kann, aber äußerst lukrativ ist. Für den Gegenwert von 24 Büchsen Bier fliegen Angolaner mittlerweile nach London und zurück.

Bezahlt wird das Importgut zum größten Teil mit den Petro-Dollars, die Angola aus der täglichen Produktion von 550.000 Barrel abschöpft. Die Diamantenindustrie aber ist mit dem neuen Krieg in die Hände von Unita gefallen. Edelsteine im Wert von zwei bis vier Millionen verkaufen die Rebellen nach Expertenschätzungen gegenwärtig pro Monat an das Diamantenkartell De Beers. Potentiell könnten die Edelsteine in Friedenszeiten jährlich eine Milliarde Dollar einbringen.

Angesichts des blutigen Krieges wird das Leben in Luanda immer schwieriger – nicht nur für Tausende von Angolanern, die am Stadtrand von Luanda in den Muceques wohnen. Der Lehrer Carlos Matus: „Ich kann mir für mein Monatsgehalt immer weniger kaufen.“ Ganze 100 Dollar ist es umgerechnet noch wert – ein Mittagessen auf dem Markt kostet drei Dollar. Der große Schlager sind deshalb schon seit Jahren Posten bei ausländischen Firmen.

Angela, die Schwägerin von Esmeraldina Ferrera, arbeitet bei der französischen Erdölgesellschaft Elf-Aquitaine. „Ich werde in Dollar bezahlt, wir erhalten kostenlose gesundheitliche Versorgung, und wir können im Supermarkt der Firma einkaufen“, erläutert sie. Dank ihres Postens kann Angela die halbe Verwandtschaft ernähren. Aber Carlos ist wenig optimistisch: „Noch ist es hier relativ ruhig. Aber wenn die Entwicklung so weitergeht, können die Leute sich auch in Luanda nicht mehr über Wasser halten. Die Kriminalität wird zunehmen.“ Carmen jedenfalls hat sich bereits einen Aufpasser angeheuert, der dafür sorgt, daß ihr niemand die Hunderttausend-Kwanza-Paketchen stiehlt.

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