Die Bevormundung von Patienten : KOMMENTAR VON COSIMA SCHMITT
Die einen preisen es als Wundermittel, die anderen warnen vor verfrühter Begeisterung: Seit einigen Monaten können sich Mädchen auf Kassenkosten gegen humane Papillomviren impfen lassen, die Gebärmutterhalskrebs auslösen können. Inmitten der erregten Debatte verteilt das Bremer Gesundheitsamt nun Flyer, die Teenager gezielt zu einer Impfung bewegen sollen – und wählt so einen bedenklichen Weg.
Natürlich ist das neue Mittel weit mehr als ein PR-Erfolg findiger Pharmalobbyisten. Viele Krebsforscher empfehlen Mädchen die vorsorgliche Spritzkur. Noch aber ist die Impfung in der Fachwelt umstritten. Ihre Langzeitwirkung muss also umfassend geprüft werden. Umso wichtiger ist es, die oft ideologische Debatte zwischen Impfskeptikern und euphorischen Befürwortern zu versachlichen – und noch intensiver als bisher zu erforschen, ob das neue Mittel sich auch wirklich bewährt. Insofern ist es zwar medizinisch umstritten, aber nicht unbegründet, wenn die Bremer Broschüre zu der Impfung rät.
Und doch ist der Flyer bedenklich – weil er eine Tendenz aufgreift, die derzeit mehrfach zu beobachten ist: Dass der Staat Bürger in medizinischen Fragen nicht nur informieren, sondern auch bevormunden will. Unlängst erst scheiterte das Ansinnen, Patienten, die nicht an Vorsorgeuntersuchungen teilgenommen haben, im Falle einer Krankheit stärker zur Kasse zu bitten. Es ist wichtig, dass der Staat seine Bürger über neue Mittel und Methoden, ihre Vorteile und Risiken aufklärt. Ob aber ein Mensch seinen Körper dem, was medizinisch möglich und vielleicht sogar sinnvoll ist, auch wirklich aussetzen möchte, kann nur jeder für sich selbst entscheiden. Die Hoheit über seinen Körper darf ihm niemand nehmen.
Das heißt nicht, dass Behörden keine Broschüren mehr drucken, keine Werbespots mehr schalten und keine Plakate mehr aufhängen sollten. Wohl aber bedeutet es, dass die Rolle des Staates in dieser Frage so eng umrissen wie anspruchsvoll ist: Er soll die Bürger allgemeinverständlich, neutral und differenziert informieren – damit aus medizinischen Laien mündige Patienten werden.