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Archiv-Artikel

Die Besten der Besten an die Hauptschule

Sanem Kleff, Leiterin der Aktion „Schule ohne Rassismus“, fordert bessere Pädagogen für muslimische Jugendliche

taz: Frau Kleff, über muslimische Jugendliche wurde in letzter Zeit viel diskutiert. Verläuft die Debatte denn sinnvoll?

Sanem Kleff: Nein, ein Großteil davon nicht. Das Bild von musilimischen Jugendlichen, das in der Gesellschaft verbreitet wird, ist doch das: Sie wollen kein Deutsch lernen, behandeln Frauen schlecht, sind Machos und gewalttätig. Da ist es nur logisch, dass viele wenig Lust haben, sich mit diesen Kindern und Jugendlichen auseinanderzusetzen. Das ist ein fataler Fehler der Gesellschaft. Es liegt auch in ihrem eigenen Interesse, sich mit dieser Gruppe zu beschäftigen. An den Hauptschulen, an denen die meisten dieser Kinder unterrichtet werden, muss sich endlich etwas tun!

Was hat sich geändert, seit die Lehrer der Rütli-Schule in Berlin-Neukölln vor fünf Monaten aufgeben wollen?

Nichts. An jeder Hauptschule in Berlin gibt es einen zusätzlichen pädagogischen Mitarbeiter. Meist haben sie Verträge, die auf einige Monate befristetet sind. In so kurzer Zeit kann man keine Sozialarbeit in der Schule aufbauen. Ich bin davon überzeugt, dass Probleme wie an der Rütli-Schule im dreigliedrigen Schulsystem nicht gelöst werden können. Es gibt immer eine Schulform, an der sich die Verlierer der Gesellschaft sammeln. Deshalb halte ich dieses System für einen völlig falschen Ansatz. Aber solange es besteht und mit ihm die Hauptschule, muss man alles versuchen, um für die Kinder das Beste rauszuholen.

Wer soll an den Hauptschulen mit hohem Migrationsanteil unterrichten?

Die Besten der Besten. Die Lehrer müssen optimal vorbereitet werden. Sie sollten Fortbildungen besuchen und müssen in ihren ersten Jahren an so einer Schule unterstützt werden. Wer an einer Schule mit vielen Ausländern arbeitet, sollte sich mit Migrationsgeschichte auskennen. Es ist wichtig, den Hintergrund der Kinder und Jugendlichen zu kennen. Die Lehrer müssen zum Beispiel wissen, dass arabischsprachige Menschen in Deutschland nie als Gastarbeiter angeworben wurden. Dann ist ihnen auch klar, dass die Familien ihrer arabischsprachigen Schüler auf anderen Wegen nach Deutschland gekommen sind: Sie sind geflohen.

Muss man sich um die arabischen Jugendlichen besonders gut kümmern?

Auf jeden Fall. Die meisten kommen aus Familien, die seit Generationen eine Flüchtlingsbiografie haben. Dabei sind die Familien bildungsfern geblieben. Arabischsprachige Jugendliche sind eher als ihre Klassenkameraden dem Einfluss islamischer Organisationen und ihrer Propaganda ausgesetzt, weil diese meist aus dem arabischen Raum kommen. Durch ihre Familien haben sie eine persönliche Verbindung zum Nahen Osten und den Kriegen in diesem Raum, auch wenn sie selbst hier aufgewachsen sind. Das wühlt sie natürlich emotional auf.

Kann der deutsche Durchschnittslehrer mit solchen Jugendlichen überhaupt richtig umgehen?

Nein, natürlich nicht. Für diese Arbeit müssen die Lehrer mit den sozialen, psychologischen und kulturellen Hintergründen der Jugendlichen vertraut sein. Dafür braucht man ein gemischtes Team von hochqualifizierten und hochmotivierten Lehrern und Sozialpädagogen. Es müssen genug dabei Männer sein, weil die Jungen es oft besonders schwer haben. Zumindest einige der Lehrer sollten einen ähnlichen Migrationshintergrund haben wie die Jugendlichen und arabische Muttersprachler sein.

Wo soll man diese Lehrer hernehmen?

Wir können nicht so lange warten, bis genug arabischsprachige Erzieher, Sozialpädagogen und Lehrer mit Migrationshintergrund ihren Ausbildungsweg abgeschlossen haben. Deswegen müssen wir schnellstens Menschen aus verwandten Berufen, zum Beispiel Sozialpädagogen, für den Einsatz an den Schulen fortbilden und so bald wie möglich einstellen. Tarifliche und bürokratische Hindernisse müssten aus dem Weg geräumt werden. Man muss sich endlich an der Sache orientieren, geeignete Personen fit machen und in den Schulen einsetzen.

INTERVIEW: SOPHIE HAARHAUS