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■ Die Berliner Republik gab sich mächtig souveränSpitzenquote der neuen Hauptstadt: Auf 1 Demonstranten 20 Polizisten

Seit Donnerstag abend glaubt die deutsche Fernsehnation, was Kanzler, Außen- und Verteidigungsminister ihr in den letzten Jahren immer mal wieder prophezeit haben: „Wir sind wieder souverän.“ Sogar den Zeitpunkt meinen die meisten genau mitbekommen zu haben. Es war der Moment atemloser Stille, als der Hauptmann des Wachbataillons der Bundeswehr, dessen Namen heute bereits alle wieder vergessen haben, mit seltsam verzerrter Stimme kommandierte: Helm ab zum Gebet.

Wie Fernsehbilder doch täuschen können. Während erstmals seit Kriegsende auf dem nur durch Fackeln erleuchteten Pariser Platz vor dem Brandenburger Tor deutsche Soldaten wieder marschieren durften, fand der eigentliche Kampf um die Souveränität weit abseits der Kameras im Dunkeln statt. Vor dem weiträumig abgesperrten Platz sorgten sage und schreibe 5.000 Mann und Frau Bereitschaftspolizei und Bundesgrenzschutz dafür, daß die atemlose Stille auch nicht durch den leisesten Pfeifton entweiht wurde — Voraussetzung für Souveränität ist offenbar Andacht pur.

Selbstverständlich war jede Demonstration im Vorfeld verboten worden, war die halbe Stadt bereits am Morgen abgesperrt, war von souveränem Umgang mit denjenigen Berlinern, denen der Große Zapfenstreich keinen wohligen Schauer über den Rücken jagt, schon seit Tagen keine Rede mehr. Die deutsche Souveränität kennt keine Dissidenten. Derart eingeschüchtert fanden sich denn auch am Alexanderplatz noch ganze 300 Abweichler ein, die ihre Meinung auch öffentlich kundtun wollten. Sie sahen sich den überzähligen grünen Ordnern konfrontiert, die Kanzler und Regierender Bürgermeister Berlins in souveräner Einschätzung des zu erwartenden „Störerpotentials“ aufgeboten hatten.

Die Polizeidichte Berlins gehört schon seit Jahrzehnten zur europäischen Spitzenklasse. Eine Quote von 20 Polizisten pro Demonstrant dürfte aber auch für die Hauptstadt eine neue Bestleistung sein. Man stelle sich einmal vor, wie es in der Stadt aussieht, wenn statt 300 mal 3.000 Demonstranten kommen und die Aufrechterhaltung der neuen Normalität wiederum dieselbe Quote gebietet. Man weiß hierzulande wenig darüber, wie die Bonner Ureinwohner die ständige Besatzung ihrer Stadt bei feierlichen Staatsumzügen so fanden. Vielleicht genügte für die Würde der noch nicht so souveränen Bonner Republik aber auch ein kleineres Aufgebot.

Die Berliner jedenfalls sind jetzt schon reichlich verstört. Als einer Radlerin bereits am Nachmittag zwei Kilometer vor dem Brandenburger Tor die Durchfahrt durch den Tiergarten kategorisch verweigert wurde, fauchte sie die staatliche Ordnertruppe entnervt an: „Welcher König rauscht denn heute wieder an?“ Jürgen Gottschlich

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