■ Die BVG lernt Marktwirtschaft: Kunden, nicht Geiseln
Busfahrer, die auf im Regen heranhetzende Mütter mit Kleinkindern warten und ein „Guten Tag!“ nicht als persönliche Beleidigung begreifen, bei der man zurückknurren muß – so etwas kann man in letzter Zeit durchaus öfters erleben. Und nun auch noch eine Meckerecke, die signalisiert, daß man Anrufer nicht als freche Querulanten ansieht, die lautstark zusammengestaucht werden müssen – wer hätte sich das bei der BVG jemals vorstellen können? Offensichtlich beginnt man bei der BVG zu begreifen, daß das Unternehmen nicht nur eine Therapiegruppe für Choleriker ist und die Fahrgäste mehr sind als eine unfreiwillige Opferschar, an der schlechtgelaunte BVGler ihren Frust ablassen können.
So ganz aus heiterem Himmel kommt diese zaghafte Läuterung natürlich nicht – sie ist vielmehr dem Zwang zur Einnahmesteigerung durch mehr zahlende Fahrgäste geschuldet und der Sorge vor möglichen Konkurrenten auf dem Berliner Markt. Man wünschte sich, die Zauberworte „Privatisierung“ und „Marktwirtschaft“ hätten ihre segensreiche Wirkung schon früher entfalten können. Die BVG, die im letzten Jahr deutlich Fahrgäste verlor – unter anderem durch die Verschlechterung des Angebots –, muß nun um ihre Zukunft kämpfen, weil sich in Kürze Unternehmen aus der gesamten Europäischen Union um den Betrieb einzelner Strecken bewerben können. Fahrgäste als Kunden zu begreifen und nicht als Geiseln, mit denen man nach Belieben umspringt, scheint anderenorts eine banale Erkenntnis zu sein; nicht aber bei der BVG.
So lobenswert die Aktivitäten der BVG-Chefs sind – noch bleibt viel zu tun. Bestes Beispiel war das Fußballänderspiel Deutschland gegen Bulgarien am Mittwoch abend im Olympiastadion. Wer brav auf das Auto verzichtende Fußballfans damit beschert, daß vor dem Spiel die Züge nur alle sieben Minuten fahren und damit seltener als im Normalbetrieb und auch nach dem Spiel Tausende über eine Stunde in der Kälte warten müssen, bis sie einen Zug ergattern können, der kann nicht darauf hoffen, diese Kunden ein zweites Mal bedienen zu dürfen. Wenn dies schon nicht klappt, was würde die BVG erst machen, wenn ein Berliner Bundesligaclub die Massen jeden Samstag ins Olympiastadion locken würde? Gerd Nowakowski
Siehe auch Bericht auf Seite 28
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