■ Die Atombomben kommen nach Frankreich zurück: Politischer Fallout
Wohlweislich hat Charles de Gaulle einen Ort am anderen Ende der Welt gewählt, um die technischen Arbeiten zur Instandhaltung von Frankreichs grandeur durchzuführen. Starke Bürgerbewegungen gab es in jenen Restposten des französischen Imperiums Anfang der 60er Jahre nicht. Und zu Hause mußte sich niemand Sorgen machen wegen der Strahlen.
In jenen frühen Jahren des Atomzeitalters war Transparenz bei militärischen Entscheidungen nicht gefragt. Die Anti-Atom-Bewegung steckte weltweit noch in den Kinderschuhen. Inzwischen ist der Zweite Weltkrieg für die meisten Zeitgenossen zum abstrakten Ereignis geworden, der Kalte Krieg gehört der Vergangenheit an und Deutschland sowie Japan sind wirtschaftlich stark und politisch rehabilitiert. De Gaulles politischer Enkel Jacques Chirac hat diese radikal veränderte internationale Lage unterschätzt. Das einzige Neue an seiner Atompolitik war, daß er versuchte, die Tests offenzulegen. Ansonsten verließ er sich ganz auf die vermeintlich ungebrochene Zugkraft seines großen politischen Vorbildes. Er appellierte an die Größe der Nation und erinnerte an die souveränitätssichernde Kraft der Force de Frappe.
Im Inneren Frankreichs hätten diese Argumente ausgereicht. Da wirkt die de Gaullsche Verdrängung der Atombomben in die fernen überseeischen Gebiete immer noch nachhaltig. Eine öffentliche Meinung über die Tests – zumal eine kritische – beginnt sich erst in den letzten Wochen zu formieren. Die beispiellose internationale Protestwelle hat diesen Wandel erreicht. Die Franzosen reagierten nicht auf die Bombenankündigung ihres Präsidenten, sondern auf die Reaktionen im Ausland. Sie spüren, daß die antifranzösischen Gefühle, die sich schon bald unter die pazifistischen und ökologischen Argumente mischten, mit jeder Bombe wachsen werden. Der politische Fallout der Atombombe kommt schon über Frankreich, bevor die Testserie überhaupt begonnen hat.
Ein Teil der politischen Klasse Frankreichs reagiert mit einem nationalistischen Reflex. Diese Politiker wittern einen „antifranzösischen Komplott“, unterstellen den Pazifikbewohnern, hinter ihren Protesten steckten allein „ökonomische Interessen“ und malen eine Bedrohung für Europa an die Wand, wenn der französische nukleare Schutz wegfalle. Die übrigen sinnen jetzt auf Auswege aus der mißlichen Lage. Aus ihrer Richtung kommt der Vorschlag, „nur“ sieben statt acht Bomben zu testen. Nachdem gestern auch die große französische Tageszeitung Le Monde Chirac vorschlug, ein Rückzieher sei die weiseste Lösung, dürfte der Kreis der moderaten Mahner allmählich wachsen. Dorothea Hahn, Paris
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