: Die Architekten der Schönen Neuen Welt
■ Mit Disney kommt die neue Freizeit-Fun-Architektur aus den USA nach Europa
Überrascht entdeckte der Bischof von Meaux, Monseigneur Cornet, eines Tages Cowboys mit Stetson-Hüten auf den Straßen seines Bistums. Prompt ließ er sich eine Audienz beim Eurodisney-Chef Robert Fitzpatrick geben und mußte zu seinem nicht geringeren Entsetzen erfahren, daß in der Mickymaus-Welt „neben Sex und Politik auch Religion“ tabu sei: „Kann der Mensch da wirklich sein Glück finden?“ gab der Monseigneur zu bedenken.
Er kann. Glück nonstop. Wohltemperiertes Glück zum Pauschaltarif, Glück ohne Mücken und Achselschweiß, ohne Bag-Ladies, Clochards und sonstige Ausdünstungen des Irdischen. Totales Glück. In den „Fantasy Hotels“, den „Center Parks“, die überall da sprießen, wo Geld vorhanden und die Wirklichkeit deswegen ausblendbar ist. Eine homogenisierte Welt des Reisens. Wo die Bäume regelmäßig abgestaubt und elektronisch bewässert werden, die Mücken keine Chance haben.
Das neueste Reiseziel im Tourismus des Fin de siècle: die vollkommen künstliche natürliche Welt. Lagunen, Dschungelambiente in der Frühstücksbar — die Dritte Welt liefert das Tropenholz, die Fantasmagorien und die Dienstboten. Wieso dann noch strapaziöse Fernreisen auf sich nehmen, in Länder, wo man womöglich von Straßengören angebettelt wird?
In den USA, in Las Vegas, Orlando oder Atlantic City, machen die „Fantasy Hotels“ bereits seit einigen Jahren Kasse und Furore. Sie bieten aseptische Tropen, Maharadscha-Style und King-Arthur-Ambiente für die Middleclass auf Zeitreise. Die Natur wird Kunstprodukt, das Hotel zum Reiseziel. Der architektonische Imperativ dieser Fun-Gebäude: groß, schrill, effizient.
Dennoch ist es für US-Architekten eine Auszeichnung, für Bauherren wie Michael „Disney“ Eisner arbeiten zu dürfen. Denn große Architektur braucht Big money.
Robert Stern, einer der „New York Five“- Avantgardisten, hat sich in Eurodisney zu einem 1.098-Zimmer-Komplex hinreißen lassen, der Corbusier und Kahn zur Bombe hätte greifen lassen: eine ins Gigantische aufgeblasene südenglische Sommerfrischler-Hütte.
Sein Kollege, der Post-Papst Michael Graves, bootete den gefeierten Erbauer der neuen „National Gallery“ in London, Robert Venturi, aus und durfte im Marne-Tal seinen dritten Mega-Mäusebunker errichten: das „New York“-Grandhotel. Ein Kongreßgebäude, das aus der Ferne aussieht wie ein schimmliges Toastbrot, um dann eine Fake-Skyline sehen zu lassen, hinter der sich 574 Luxuszimmer verbergen. Die Preise liegen zwischen 300 und 2.200 Mark, das Interieur inszeniert die Art-Deco-Jahre aufs neue, diesmal allerdings in Caribbean Colours: pfirsich-pistazie-badeschaumblau. Vom Teller bis zur Nachttischlampe hat Graves alles durchdesigned, alles in bester Qualität und in Farben, denen eigentlich nur eines fehlt, um angenehm zu sein: das entsprechende Klima Floridas.
Dafür ist das Marne-Tal nicht unbedingt bekannt: Nach Auskunft des staatlichen Wetteramts ist in Eurodisney nur mit 15 bis 25 reinen Sonnentagen im Jahr zu rechnen. An 55 Tagen kommt die Sonne überhaupt nicht zum Vorschein, und an jedem zweiten Tag regnet's. In Holland sind die ersten Center-Parks mit Treibhaus-Kuppel bereits in Betrieb. Ein künstlicher Himmel — Monseigneur Cornet mögen verzeihen...
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