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Die Angst regiert in Jaffna

Im tamilischen Norden Sri Lankas ist von Frieden keine Rede  ■ Aus Jaffna Biggi Wolff

Der sogenannte indisch-lankanische Friedensvertrag entwickelt sich für alle Seiten zur Katastrophe. Die eigentlich als „Friedenstruppen eingesetzten indischen Soldaten sind de facto eine Besatzungsarmee, die ungestraft Menschenrechte verletzt. Überwachung und EInschüchterung der tamilischen Bevölkerung werden von den Indern perfektioniert. Die Bevölkerung selbst erstarrt in Angst, der Widerstand der tamilischen Guerilla ist jedoch ungebrochen.

Unter der glühenden Sonne ziehen zwei lange Reihen von Männern und Frauen auf der unebenen, sandigen Straße vorwärts. Gefangenen gleich passieren sie Stacheldrahtabsperrungen, an denen sie sich Soldaten gegenüber ausweisen. Einige Frauen halten Säuglinge im Arm und schleppen Gepäckstücke, die wieder und wieder durchsucht werden.

Am 7. Januar, kurz bevor unser Bus die Stadt Vavuniya erreicht, explodiert auf der einzigen Zufahrtsstraße zur tamilischen Jaffna- Halbinsel eine Landmine der „Liberation Tigers of Tamil Eelam“ (LTTE): Vier indische Soldaten sterben. Sofort errichten die Militärs weitere Absperrungen. So müssen sich Hunderte von LKWs und Bussen im Schrittempo vorwärtsquälen. Am dritten Kontrollpunkt liegen sieben junge Tamilen mit verbundenen Augen im Gras. Die eigentlichen Täter jedoch, zehn schwerbewaffnete Männer, waren, wie wir beobachten konnten, kurz hinter dem Ort der Explosion aus dem Dschungel aufgetaucht und wie eine übernatürliche Erscheinung wieder in ihm verschwunden. „Pullihell“, „Tigers“, hatte man sich im Bus ehrfurchtsvoll zugeraunt.

Als um 18 Uhr die gewohnte Ausgangssperre beginnt, müssen wir die Nacht im vollgestopften Bus verbringen. Meine Reisegefährten witzeln darüber, wie die Tigers die indischen Truppen immer wieder zum Narren halten. Ihr Lachen ist Ventil für die eben noch erlittenen Schikanen.

Die Nacht am Straßenrand vergeht wider Erwarten ohne Zwischenfälle. Weder rückt die Kriegsfront im Osten näher – von dort hatten wir beim Einschlafen Granatendonner hören können – , noch werden wir Opfer der tamilischen „Tristar“, die Busse plündern und nach rivalisierenden LTTE-Kadern suchen. Diese Gruppe hat sich in den Dienst der indischen Truppen gestellt, und ihre Mitglieder gehen in deren Camps ein und aus.

Als wir nach eineinhalbtägiger Reise und ganzen 100 zurückgelegten Kilometern Jaffna erreichen, bietet das Zentrum der Stadt ein lebhaftes Bild. Doch ein Blick nach oben rückt den ersten Eindruck zurecht. Auf den Balustraden der mehrstöckigen Geschäftshäuser hocken, hinter Sandsäcken verschanzt, indische Soldaten, ihre Gewehrläufe sind auf die Menschen in den Straßen gerichtet. Gleich darauf biegen Militärlastwagen und Jeeps mit aufgestellten Maschinengewehren um die Ecke. Schwerbewaffnete Patrouillen zu Fuß verteilen sich auf dem Marktplatz.

Vor einigen Tagen wurde eine Gruppe Journalisten eingeflogen, um ihnen die „Rückkehr zur Normalität in Jaffna“ vorzuführen. Außer der Besichtigung der Stadtmitte stand noch ein Besuch im nahegelegenen Nallur-Tempel auf dem Programm, nach wenigen Stunden ging es per Helikopter wieder zurück in die Hauptstadt Colombo. Seit nunmehr dreieinhalb Monaten behält sich die indische Botschaft in Colombo das Informationsmonopol über das nördliche Territorium Sri Lankas vor. Wer über die Aktivitäten der IPKF (Indian Peace Keeping Forces), wie die „Friedenstruppen“ genannt werden, unabhängig berichten will, muß derzeit „kreativ“ reisen.

Vor einer Woche erst sprach Indiens Verteidigungsminister K.C. Pant in völliger Verkehrung der Realität von einigen „kleinen, noch verbliebenen Problemen, die bald gelöst sein werden“. Nicht recht ins Bild passen will da die Tatsache, daß auf Jaffna kaum eine Schule oder Behörde auch nur halbwegs normal funktioniert. „An einigen Kontrollposten in der Stadt durchsucht seit neuestem weibliches Personal die Frauen und Mädchen, darum wurde viel Aufhebens in der Presse gemacht. Doch was ist mit all den anderen Kontrollposten?“ erklärt die Mutter der 12jährigen Vasanthi das Fernbleiben ihrer Tochter vom Unterricht. „Vor zwei Tagen ging die IPKF von Haus zu Haus und drohte mit Bestrafung, wenn die Schülerinnen nicht kämen. Jetzt ist die Angst, zu Hause zu bleiben, genauso groß wie die vor den Kontrollen, bei denen uns die Soldaten unter dem Vorwand, nach Handgranaten zu suchen, überall abtasten“, sagt die Mutter.

In der stark zerstörten Universität, keine fünf Kilometer vom Stadtzentrum entfernt, wartet Sarojini Sundarlingam (alle Namen wurden geändert, d.A.)vergeblich auf ihre Stundenten. „Viele von ihnen sind tot, andere geflüchtet“, erklärt die Dozentin für Physik die Lage. „Gestern besuchte mich auch noch ein LTTE-Mann und warf mir vor, mich mit der Wiederaufnahme der Arbeit indischer Hegemonie zu unterwerfen. Im Gegenteil, erwiderte ich ihm, ich habe mich entschlossen, diese Universität wieder unter unsere Kontrolle zu bringen und mit Leben zu erfüllen. Wenn ich fortbleibe, sitzt an meiner Stelle demnächst ein Inder.“

Die indische Militäroffensive von Anfang Oktober bis Mitte November beschreibt sie als „Feuersbrunst, die durch unsere Gesellschaft wütete und keinerlei Rücksicht auf menschliches Leben oder Einrichtungen des Volkes nahm“. Mindestens 1.000 Zivilisten wurden nach tamilischen Angaben getötet, die IPKF spricht von 1.200 getöteten „Tigers“ und 350 gefallenen Soldaten. Rund eine Million DM Sachschaden entstand allein auf dem Campus. Nachdem Fallschirmjäger von der LTTE aus den Universitätsgebäuden heraus unter Beschuß genommen worden waren, „fuhr die Armee mit Panzern durch die Wände und schoß mit Kanonen um sich“. Ganze Bibliotheken schwammen anschließend im Monsunregen davon.

In den Fenstern des nahegelegenen Studentenwohnheims tauchen die runden Gesichter der Gurkha-Soldaten aus dem Nordosten Indiens und die armeegrünen Turbane der Sikhs auf. Auch in vielen Schulen und öffentlichen Institutionen haben sich die indischen Regimenter einquartiert. Die 30.000 allein auf Jaffna stationierten Soldaten müssen schließlich untergebracht werden. Andernorts wurde das Schulmobiliar nach Augenzeugenberichten zum Verbrennen von Leichen benutzt.

Schon am frühen Nachmittag erstirbt das Leben im Zentrum der Stadt wieder. „Wir ziehen uns in die Häuser zurück, verriegeln Türen und Fenster und beten zum Allmächtigen Gott“, beschreibt die 50jährige Christin Frau Selvadurai ihren Alltag. „Wir erwarten den Tod jederzeit, ein bißchen gewöhnt man sich an das Gefühl. Aber wer hätte keine Angst vor dem Tod ?“ Spätestens, wenn man die nördlich von Jaffna-Stadt gelegenen Orte Kopay, Kokuyil und Urumpirai gesehen hat,kann man sich die Brutalität dieses Krieges vorstellen, der von Palme zu Palme, von Haus zu Haus geführt wurde. Hunderte von Gebäuden liegen in Schutt und Asche, dazwischen haben sich jetzt die Soldaten verschanzt, ihre Gewehre liegen schußbereit.

Ganz Jaffna ist heute ein riesiges Gefängnis, in Privathäusern campieren die Militärs, die „Innocent People Killing Force“, wie das IPKF-Kürzel jetzt ausgelegt wird: Streitkräfte, die unschuldige Menschen töten. Jede Familie kann ihre eigene Horrorgeschichte erzählen. Doch die Angst vor weiterer Repression verfolgt selbst die Flüchtlinge in Colombo. Die Frauen in der Nachbarschaft der Militärlager müssen Uniformen flicken, Eiswasser servieren und jederzeit mit Hausbesuchen rechnen. Zu den größeren Kontrollpunkten, an denen mit Metalldetektoren gearbeitet wird, kommen die unzähligen, rundum zugemauerten Unterstände, aus denen nur ein Augenpaar und ein Gewehrlauf hervorschauen. Ohne Passierschein, der für jede Fahrt neu beantragt werden muß, bewegt sich kein Fahrzeug aus der engen Stadtmitte heraus.

Erstmalig gab diese Woche der Oberbefehlshaber für Jaffna, Brigadier Kahlon, die Vergewaltigung von vier tamilischen Frauen durch Soldaten zu. Die Mehrheit der Vergewaltigungen wird jedoch wegen der damit für die Frauen verbundenen sozialen Schande niemals publik werden. Ein Pastor in Point Pedro weiß von der Vergewaltigung einer 79jährigen Witwe aus seiner Gemeinde durch zwei Gurkhas. Drei Wochen zuvor war er in einer Seitenstraße auf eine verzweifelte Mutter mit Tochter, die vergewaltigt worden war, gestoßen. Im „Umerziehungslager“ Kankesanturai haben die Inder nach eigenen Angaben mehr als 300 Tamilen interniert. Ein honoriger, betagter Bürger Jaffnas, der dort drei Wochen lang wegen unterstellter Kontakte zur LTTE verhört worden war, berichtet von 23 jungen Frauen, die er im Lager gesehen hat. Eine 18jährige sei von 15 Soldaten vergewaltigt worden, vier der gefangenen Frauen hätten den Verstand verloren. Die Angst steht dem Mann bei unserem Gespräch noch ins Gesicht geschrieben.

Das Fehlen jeglicher unabhängiger Kontroll- und Beschwerdeinstanz verleiht dem einfachen Soldaten unbeschränkte Macht. Schon mittags sehe ich stockbetrunkene Gurkha-Einheiten lärmend durch die Straßen ziehen. Jaffna liegt unter einer allumfassenden Atmosphäre von Angst. Aufgrund dieser Angst oder auch in der Hoffnung auf ein Ende des Leidens beginnen die Menschen, mit der IPKF zu kooperieren. In einem Jeep wird ein in ein grünes Kapuzencape gehüllter Informant von den Militärs umhergefahren, um LTTE-Kader und –Sympathisanten zu identifizieren.

Doch die Heckenschützen der Tigers geben nicht auf. Nahezu täglich töten ihre Landminen und Granaten indische Soldaten. Von der völligen militärischen Unterwerfung des Nordens und Ostens kann noch lange nicht die Rede sein. „Wenn sie alle Hinterhöfe und Schleichwege kontrollieren wollten, müßten sie Hunderttausende Soldaten nach Sri Lanka bringen“, kommentiert ein militanter Tamile. Die Zukunft der tamilischen Zivilbevölkerung als finster zu bezeichnen, hieße die Lage zu beschönigen.

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