piwik no script img

Die Angst geht um in den Wagenburgen

■ Zukunft der Wagenburgen ungewiß. Konflikt um Stellplatz Wuhlheide

Die Zukunft der verbliebenen zehn Rollheimerdörfer ist nach der Räumung der East Side Gallery ungewiß. Innensenator Jörg Schönbohm (CDU) erklärte gestern, im „Zentrum einer Großstadt“ gebe es „keinen Platz für Wagenburgen“. Eine Räumung weiterer Wagenburgen steht aber offenbar nicht an. Arbeitssenatorin und Bürgermeisterin Christine Bergmann (SPD) sieht nach der Auflösung der East-Side-Wagenburg „keinen akuten Handlungsbedarf“. Man habe im Senat allerdings auch kein Interesse, daß „nach der Beseitigung einer schwierigen Ecke gleich wieder eine an anderer Stelle in der Stadt entsteht“, so die Senatorin.

Auch Gesundheitsstaatssekretär Detlef Orwat (CDU) betonte, Wagenburgen seien auf Dauer „kein geeignetes Mittel zur Reintegration von Obdachlosen“. Für einen „vorübergehenden“ Zeitraum – seiner Ansicht nach ein bis eineinhalb Jahre – seien die Plätze in West-Staaken, Wuhlheide und Pankgrafenstraße gesichert. Für alle anderen Rollheimerdörfer wollte er sich auf eine zeitliche Befristung nicht festlegen.

Der parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion, Hans Peter Seitz, plädierte für einen umsichtigen Umgang: „Man muß genau hinschauen.“ Als ein wesentliches Kriterium nannte Seitz die Bereitschaft der Bewohner, Hygiene und sonstige Vorschriften des Zusammenlebens zu beachten. Eine Verslumung mit den Folgen von Drogenhandel und Kriminalität wie in der East Side lehne seine Partei strikt ab. Seitz, zugleich SPD-Kreisvorsitzender in Pankow, verwies auf die positiven Erfahrungen in seinem Bezirk. Das Rollheimerdorf in der Pankgrafenstraße habe sich „integriert und organisiert“. Anfängliche Ängste der Pankower vor den Rollheimern und ihrer Lebensform hätten sich nicht bestätigt.

Zu einem Problem scheint unterdessen die Rollheimersiedlung in der Wuhlheide zu werden. In der vom Bezirk geduldeten Siedlung leben derzeit rund 130 Menschen. Die sanitären Anlagen – Dusch- und Toilettencontainer – seien aber nur für 80 Bewohner vorgesehen, so die Köpenicker Gesundheitsstadträtin Helga Walter (SPD). Schwierigkeiten machten rund 20 Punker, die sich nicht an die Regeln der anderen Wagenburgler hielten. Regelmäßig müsse eine Müllkippe auf Bezirkskosten beseitigt werden. Außerdem sei der Boden des Platzes belastet, in der Wagenburg lebten aber rund 20 Kinder. In einem Brief habe sie Gesundheitsstaatssekretär Orwat deutlich gemacht, daß unter diesen Umständen der Platz eigentlich geräumt werden müßte, wenn nicht die untragbaren Bedingungen geändert würden. „Wir wollen sie nicht weghaben“, versicherte Walter. Mit ihrem Brief wolle sie Druck auf den Senat ausüben, Geld für einen Spielplatz bereitzustellen. Als ersten Schritt wies Orwat die Rollheimer in der Wuhlheide gestern an, die Müllkippe durch „gemeinützige Arbeit“ zu beseitigen.

Unter den Rollheimern macht sich derweil Räumungsangst breit. Schon seit Jahren rechnen viele mit einem ähnlichen Schicksal, doch diesmal könnte es ernst werden „mit dem Willen des Senats, die Innenstadt zu säubern“, befürchtet ein Wagenburgler am Görlitzer Park in Treptow.

Hinsichtlich der Solidarität mit den vertriebenen Rollheimern befinden sich die Bewohner der Wagenburgen im Umfeld der East Side Gallery im Zwiespalt: Einerseits verurteilen sie die Räumungsaktion grundsätzlich, andererseits können sich viele nicht mit dem früher an der East Side praktizierten Lebensstil identifizieren. „Zu chaotisch-aggressiv“, urteilt ein Bewohner der Wagenburg am Mariannenplatz in Kreuzberg. Mit dieser „Jäger-und-Sammler-Mentalität“ habe er nichts am Hut. Entsprechend distanziert steht man einem Zuzug der geräumten East- Side-BewohnerInnen gegenüber. Man könne sie nicht verscheuchen; das würde bedeuten, sich mit der Polizei auf eine Stufe zu stellen, war von einigen Rollheimern zu hören. Aber „heikel“ sei es schon, die East-Side-Leute bei sich aufzunehmen, denn das könnte der Polizei einen Grund für weitere Räumungen liefern.

Vor diesem Problem steht die Wagenburg „Schwarzer Kanal“ an der Schillingbrücke nicht. Auf dem winzigen, blütenübersäten Streifen Land zwischen Spree und Industriegelände fände ohnehin kaum ein weiterer Wagen Platz. Nichtsdestotrotz solidarisiert man sich auch hier „im Geiste“ mit den polizeilich Geräumten. Auf die eigene Existenz als Wagenburg-Kollektiv bezogen, überwiegt jedoch die Angst, „mit denselben widerlichen und verlogenen Methoden rausgeschmissen zu werden“. Fatal sei außerdem das – aus der Sicht des „Schwarzen Kanals“ – offensichtliche Konzept des Senats, die Wagenburgler auf größeren Arealen außerhalb der Innenstadt zusammenzufassen. „Wir haben keine Lust, irgendwo in Staaken mit 200 Leuten zusammengepfercht zu wohnen, zumal die Gemeinschaft dann zwangsläufig außer Kontrolle geraten würde.“

Räumlich wie „ideologisch“ am nächsten steht den Ex-East-Sidern die Wagenburg nahe des Stralauer Platzes. Hier bedauert man zutiefst den Verlust des „größten, wenn auch rauhsten Abenteuerspielplatzes Berlins“. Man beschimpft „die faschistischen Internierungsmaßnahmen“ und erwartet schicksalergeben den Räumungsbefehl für den eigenen Platz. Eva Behrendt, Isabel Fannrich,

Severin Weiland

Siehe auch Bericht Seite 4

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen