■ Die Angst einer Gemeinde vor einem Rockfestival: Ist Phillip Boa ein Satanist?
Durmersheim (taz) – Letzten Sommer fand erstmals in der 10.000-Seelen-Gemeinde Durmersheim (bei Karlsruhe) das „Zillo-Festival“, ein Rockkonzert der Grufti-Szene, statt. Es war mit über 6.000 Besuchern ein voller Erfolg! Sogar die Ortsbevölkerung, im Umgang mit morbide dreinschauenden Dark-Wave- Fans eher unerfahren, hatte anfängliche Vorurteile schnell abgelegt. Lokale Einzelhändler waren wegen des enormen Umsatzes gar hellauf begeistert. Logisch also, daß sich der Handballclub TUS als Mitveranstalter mit der Gemeinde schnell auf eine Wiederholung des Festivals in diesem Sommer einigte. Um so verblüffter waren die Leute vom TUS, als im Januar diesen Jahres ein Brief aus dem Rathaus eintraf, in dem die ursprüngliche Zusage stark relativiert wurde. Die Gemeinde wollte plötzlich bei der inhaltlichen Gestaltung des Open-air-Konzertes ein Wörtchen mitreden. Im Klartext: die 14 eingeladenen Bands sollten erst noch genehmigt werden. Doch bindende Verträge mit Phillip Boa, The Mission und anderen Grufti- Größen waren schließlich bereits unter Dach und Fach.
Die Bedenken gegen das Fest kamen natürlich aus örtlichen Kirchenkreisen. Katholische und evangelische Pfaffen machten ausnahmsweise gemeinsam Front und schrieben einen Brief an die Gemeinde. Darin drückten sie ihre tiefe Sorge um das sittliche Wohl der Ortsjugend aus. Da sie ja selber nicht anwesend waren, zitierten sie aus den Presseberichten über das Festival des Vorjahres. Der ironische Unterton der Metaphern „Heimsuchung“ oder „Kult von Tod und Verderben“ blieb ihnen natürlich verborgen. Sie lasen „mit Erschrecken“, daß aufgrund eines Autritts zweier barbusiger Mädels – pfui Teufel! – bereits „zur Mittagszeit eine Nachtclubatmosphäre aufgekommen war“.
Auch der Bürgermeister war nun ratlos. Waren „Deine Lakeien“ etwa die Protagonisten einer okkulten Sekte? Allein der Name der Band war verdächtig! Aber weder der Sektenbeauftragte noch das Erzbischöfliche Ordinariat hatten jemals von einer Sekte namens „Zillo“, die auch unter dem Namen „Independent“ auftritt, gehört. Doch mit einer Entwarnung zögerte man im Gemeinderat noch. Die einen sahen in den Zillo-Jüngern eine Horde verabscheuungswürdiger Nihilisten, andere fürchteten um die Werte des christlichen Abendlandes.
Aber am Ende siegt immer das Geld: Seit einigen Tagen läuft der Vorverkauf der Teufelei, die am 17./18. Juni stattfinden soll. Eine Absage aufgrund zu befürchtender Hexerei von Phillip Boa und Konsorten könnte die Geimeinde eine Viertel Million Mark Schadenersatz kosten! Dieter Balle
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