■ Die Anderen: "Les Echos" über die SPD und die Grünen / "Maariv" und der "Guardian" zur Entlassung der russischen Regierung
Die Wirtschaftszeitung „Les Echos“ aus Paris kommentiert die Lage der SPD und der Grünen nach den Wahlen in Schleswig-Holstein: Auch wenn ihr Generalsekretär Franz Müntefering meint, daß sich die SPD auf der Siegerstraße befinde, hat die Partei guten Grund, sich nicht dem Triumphgefühl hinzugeben. Einerseits, weil die CDU von Kanzler Helmut Kohl weit vom Zusammenbruch entfernt ist und (bei den Kommunalwahlen in Schleswig-Holstein) ebenfalls zugelegt hat. Zweitens und vor allem aber, weil die mit den Sozialdemokraten verbündeten Grünen ein beunruhigendes Minus verbucht und mehr als ein Drittel ihrer Wähler verloren haben. Einige radikale Stellungnahmen der Grünen wie die Verdreifachung des Benzinpreises haben zweifellos einen Teil ihrer Wählerschaft entmutigt. Aber abgesehen vom Verharren in ihren „Kinderkrankheiten“ – so hat es ein Abgeordneter der Umweltpartei genannt – zahlen die Grünen vor allem für ihre Unfähigkeit, Regierungsverantwortung zu übernehmen. Ein schwacher Trost für die deutsche Opposition: Die FDP hat einmal mehr die Fünf-Prozent-Hürde verfehlt.
„Maariv“ aus Tel Aviv schreibt zur Entlassung der russischen Regierung: Boris Jelzin hat seine Regierung entlassen, als handele es sich um den Austausch der Mannschaft einer Reinigungsfirma. Nach der russischen Verfassung darf der Präsident die Regierung entlassen und eine andere ernennen. Wenn dies jedoch ohne vorherige Ankündigung geschieht, hat ein solcher Schritt etwas Gewalttätiges, das Besorgnis auslösen sollte. Wird Jelzin, der gerade erst von einem Krankenurlaub zurückkehrte, von nicht beherrschbaren Trieben geleitet? Oder handelt es sich um einen „verfassungsgemäßen Putsch“, um gegen eine nicht erkennbare Bedrohung vorzugehen? Die beruhigenden Worte des abgesetzten Ministerpräsidenten Viktor Tschernomyrdin und die Ernennung des ehemaligen Energieministers Sergej Kirijenko konnten die Wogen der Aufregung zwar etwas glätten. Aber jeder, der eine stabile Herrschaft in Rußland als Grundstein für Frieden in der Welt ansieht, muß sich angesichts des kapriziösen Verhaltens von Jelzin Sorgen machen.
Der Londoner „Guardian“ schreibt zum gleichen Thema: Dieser große Akt von Präsident Boris Jelzin wird auf die Zukunft Rußlands wenig Einfluß haben. Nur eine Woche nach erneuten Spekulationen um seine Gesundheit will Jelzin beweisen, daß er die Kontrolle behält. Fraglich ist, ob sein Schritt auch politisch klug war. Diese Art des Umgangs mit der Macht ist kaum geeignet, Vertrauen zu wecken. Aber im nicht kommunistischen Rußland ist Boris der Zar, der sich solche Dinge leisten kann, während die Menschen amüsiert zuschauen.
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