■ Die Anderen: "FAZ", "Corriere della Sera", "La Repubblica", "Standard" zur deutschen Haltung im Fall Öcalan
Die „FAZ“ hält Schröders Haltung zu Öcalan für falsch: Die Hasenfüßigkeit der Koalition im Konflikt um Öcalan steht in krassem Gegensatz zu ihrem politischen Mut in Sachen Integration und Einbürgerung. Sicher: Bürgerkriegsszenen auf deutschen Straßen wären für das Projekt einer Reform des Staatsbürgerschaftsrechts verheerend. Aber die Koalition will doch diese Reform, gerade weil die Gefahr ethnischer Konflikte in Deutschland als Folge der Einwanderung wächst. Sie darf nun nicht den Kopf einziehen, wenn es schwierig wird. Die Masse der Türken und Kurden in Deutschland ist nicht Bürgerkriegspartei. Bei Gelegenheit könnte das ja von ihnen zum Ausdruck gebracht werden. Bonn sollte dazu ermuntern.
Kohl hätte es nicht getan – so kommentiert der „Corriere della Sera“ aus Mailand den Verzicht Deutschlands auf die Auslieferung Öcalans: Wenn Italien sich heute mit der „heißen Kartoffel“ in der Hand wiederfindet, dann sicherlich, weil wir verschiedene Fehler gemacht haben. Aber vor allem deshalb, weil die neue deutsche Regierung schamlos falschgespielt und den Vertrag von Schengen verletzt hat. Diesmal können wir also mit Recht sagen, daß nicht wir der Schlaukopf sind, sondern die Deutschen, die doch ansonsten als so ernsthaft und verläßlich gelten. Hätte Helmut Kohl sich so verhalten wie sein Nachfolger Gerhard Schröder und der neue Außenminister Joschka Fischer? Wahrscheinlich nicht, weil der alte Kanzler im Gegensatz zum neuen Chef der Mitte-Links-Regierung der europäischen Solidarität gegenüber den nationalen Interessen den Vorrang eingeräumt hätte.
„La Repubblica“ aus Rom meint dazu: Wie erwartet hat sich Deutschland dafür entschieden, bis zur letzten Konsequenz widersprüchlich zu handeln, und sich geweigert, Öcalan zu nehmen. Es hat ihn durch halb Europa mit einem Haftbefehl verfolgt, der ihm Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung sowie Mord vorwirft. Als Italien ihn festgenommen hat, nachdem er zwischen Rußland und Syrien frei hin und her gewandert ist, hat sich Bonn entschieden, seinen eigenen Haftbefehl zu ignorieren, sein eigenes Gesetz nicht anwenden zu wollen. Unter dem Strich gesehen siegen also die europäischen Egoismen über die idealistischen Vorstellungen.
Als Katastrophe bezeichnet der Wiener „Standard“ die deutsche Haltung im Fall Öcalan: Armer italienischer Außenminister Lamberto Dini, der meinte, daß Deutschland „die moralische Pflicht“ habe, sich durch ein Auslieferungsansuchen in die Lage zu versetzen, den Haftbefehl an Öcalan auch vollstrecken zu können. Irrtum, Deutschland will das gar nicht. Angst vor türkisch-kurdischen Auseinandersetzungen hat den deutschen Rechtsstaat in die Knie gezwungen. Das kann nur als Katastrophe bezeichnet werden.
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