■ Die Anderen: Die "Deister- und Weserzeitung" aus Hameln, die "Allgemeine Zeitung" aus Mainz und die "Frankfurter Neue Presse" schreiben zur Bubis/Walser-Auseinandersetzung
Die „Deister- und Weserzeitung“ aus Hameln schreibt zur Bubis/Walser-Auseinandersetzung: Der gewaltige Eifer, mit dem sich Kulturmanager, Politiker und Journalisten in diesen Wochen abrackerten, um die beiden Kontrahenten zu einem „friedlichen Gespräch“ an einen Tisch zu zerren, belegt eine wichtige Erkenntnis Walsers: daß Deutschlands Meinungsbildner bei diesem Thema jede offene Diskussion ohne vorgegebene Sprachregelung für gefährlichen Wildwuchs halten. Was da im Laufe dieser Debatte an bunten, freien Strömen des Denkens und Gedenkens losgebrochen ist, sollte rasch in geordnete Bahnen gelenkt werden. Walser und Bubis sollten durch demonstrierte Einigkeit die Wogen glätten und verhindern, daß die Debatte „außer Kontrolle“ gerät, wie Weizsäcker fürchtet. Gesucht war (und ist) also eine neue Kontrolle. Eine spezielle Grammatik für die Sprache des Erinnerns. Genau dies aber widerspräche dem Sinn der Walserschen Rede.
Die „Allgemeine Zeitung“ aus Mainz meint: In Deutschland sind nationale Identitätsfragen, aus welchen Gründen auch immer, über viele Jahre unterdrückt worden. Zu lange ist die Vergangenheit, ist das Grauen von Auschwitz hinter rituellen Betroffenheitsfloskeln und pathetischen Gedenkreden verdeckt worden. Auch dahin zielte wohl Walser, als er die Instrumentalisierung des Schreckens beklagte. Doch Walser unterschätzte die Wirkung seiner Worte und gab zu Mißverständnissen Anlaß. Aber auch Bubis, der den Streit mit furiosem Eifer vorantrieb, ließ einen Resonanzraum für manche entstehen, die voller Häme zuhören. Die Vergangenheit in deutscher Manier „aufarbeiten“ zu wollen wie einen Berg von Akten, das ist schon früh gescheitert. Die Suche nach dem gemeinsamen Erinnern kann nur gelingen, wenn endlich die Nachkriegsgeneration einbezogen wird.
Die „Frankfurter Neue Presse“ schreibt: Der Streit ist nicht beigelegt. Martin Walser und Ignatz Bubis beharren auf ihren Standpunkten. Bubis hat den Vorwurf der „geistigen Brandstiftung“ zurückgenommen und damit die Möglichkeit, künftig noch miteinander sprechen zu können, wiederhergestellt. Mehr ist nicht geschehen. Es gibt kein Ende der Debatte in Eintracht. Welchem Bedürfnis hatte Walser in seiner Friedenspreisrede Ausdruck verliehen? Dem Bedürfnis nachgeborener Generationen, für das Erinnern eine eigene Sprache zu finden, eine Sprache des Gewissens, die nicht mehr bestimmt ist von der Grammatik der Schuld und trotzdem hellhörig für die Stimmen der Vergangenheit. Eine Sprache, die sich nicht stets durch die Verwendung eingeübter Floskeln gegen Mißbrauch abdichten und als unverdächtig ausweisen muß. Walser hat vorsichtig die ersten Sätze dieser Sprache formuliert. Sie waren unvermeidlich.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen