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Die Amerikaner haben kein Innenleben

■ Aus dem Podiumsgespräch mit Peter Sellars nach der Premiere von „The Electrification...“

Auf die Frage, warum er „The Electrification of the Soviet Union“ nicht in den USA produziert oder gezeigt hat:

Die Amerikaner haben kein Innenleben, da geht es immer nur um die Oberfläche. Als wir das Stück erarbeiteten, dachte ich, man könne es niemals dort aufführen. Inzwischen denke ich, die Amerikaner sollten es sehen. Aber es wird schwierig sein. Sehen Sie, George Bush und Michael Dukakis streiten sich darüber, ob die Schulklassen den Verfassungseid aufsagen sollen, und über ähnliche weltbewegende Themen. Die interessieren sich doch nicht für Inhalte.

Trotzdem würde ich es gerne in Amerika machen. Die meisten Stücke, die ich in den USA inszeniert habe, sind russische Stücke. Das liegt daran, daß Amerika keine Theaterstücke aus dem 19. Jahrhundert hat, und keine von den großen Novellen kann man auf die Bühne stellen. So mache ich, gewissermaßen als Ersatz, russische Stücke. Rußland ist ja wie Amerika eine große Provinz. Eine, die Macht hat, und die zur Zeit nicht weiß, was sie mit sich anfangen soll und sich kulturell ziemlich zweitrangig vorkommt. Die richtige Kultur kommt ja aus Europa und ist in Rußland und Amerika immer nur nachgemacht worden. Ich denke wirklich gerne über Rußland nach.

Auf die Frage, ob er sich eine Arbeit in Berlin vorstellen könne:

Ich bin zum erstenmal in dieser Stadt, für 36 Stunden. Ich könnte nie hier arbeiten, ich verstehe nichts von dieser Stadt. Jede Show muß doch etwas enthalten, das authentisch aus der Kindheit des Zuschauers stammt. Meine Kindheit war sehr amerikanisch, ich hatte keine deutsche Kindheit. Es ist mir Ernst mit meinem Job als amerikanischer Regisseur, ich kann nicht außerhalb Amerikas arbeiten. In diesem Falle, mit Nigel und Craig und britischen Sängern, dachte ich, ich könnte vielleicht auch etwas in England machen, was nicht vollkommen falsch ist. Trotzdem komme ich mir noch wie ein Betrüger vor.

Es ist seltsam, aber die Aufführung hier fand ich besser als in England. Ich weiß zu wenig über England, konnte dem Stück keinen spezifischen Kontext geben. Aber Sie hier in Deutschland wissen mehr über Amerika als die meisten Amerikaner selbst. Umgekehrt wüßte ich nie im Leben, was ich einem deutschen Schauspieler sagen sollte. Ich weiß doch nicht, was er denkt, und auch nicht, was dem Publikum im Kopf herumgeht.

Theater, das ist doch Gegenwart, lebendig, ein Moment. Deshalb könnte ich nie einer von diesen internationalen Regisseuren werden. Sehen Sie sich doch an, was aus denen wird mit der Zeit. Zum Teufel mit Ihnen!

Warum dann die Mozart-Inszenierung in Brüssel?

Anders als viele Regisseure, die weltweit mit irgendeiner „Cosi fan Tutte„-Inszenierung berühmt werden wollen, hoffe ich, daß ich für den Rest meines Lebens an neuen Opern arbeiten kann. Einer der Gründe, in Glyndebourne zu arbeiten, war für mich deren Verpflichtung, alle zwei Jahre eine neue Oper herauszubringen.

Ich will eine Situation, wie sie auch Mozart und Verdi hatten. Damals waren neue Opern das Normale, und das Opernhaus hatte einen kompletten Spielplan voller neuer Opern. Nur hin und wieder gab es auch eine alte dazwischen, als Kuriosum sozusagen.

Wenn wir aber immer nur alte Opern zeigen, verstecken wir doch mit jedem alten Komponisten einen neuen. Die Oper sollte wiederbelebt werden. Ich glaube auch, daß in der Oper zur Zeit mehr passiert als im Theater, weil Oper viel metaphorischer ist als Theater und viel weniger mit Alltäglichem wie Abwaschen und Saubermachen verwechselt werden kann. Unsere jetzigen Komponisten sind genauso ausgezeichnet wie die früheren. Wir sollten ihnen Arbeit verschaffen. Wenn wir es hinkriegen, jährlich zwei neue Opern herauszubringen (wie im letzten Jahr „The Electrification“ und „Nixon in China“), hätten wir in zehn Jahren 20 neue Opern. Das wär doch schon was.“

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