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■ Die Aids-Hilfen und ihre Basis: ein Treffen in Stuttgart„Wir werden heftig Prügel kriegen“

Zum fünften Mal findet ab heute in Stuttgart das bundesweite Positiven-Treffen statt. 300 Menschen mit HIV und Aids diskutieren über ihre Krankheit und ihre Probleme. Michael Schuhmacher von der Deutschen Aids-Hilfe hat die Veranstaltung vorbereitet.

taz: Die ersten Positiven-Treffen waren ein Akt der Befreiung. Man bekannte sich zu Aids und zeigte sich in der Öffentlichkeit. Das Motto hieß damals: Wir sind keine Todgeweihten, keine Aussätzigen, und wir leben noch. Wir sind ganz normale Menschen mit allen Bedürfnissen. Was ist von diesen Anfängen übriggeblieben?

Michael Schuhmacher: Für viele Teilnehmer ist es auch heute noch ein Akt der Befreiung. Was sich stark geändert hat, sind die Themen, über die geredet wird. Früher war das Sich-Treffen und Zusammensein das Wesentliche. Heute gibt es eine ganze Reihe von Sachfragen.

Eigentlich ist es ein richtiger kleiner Aids-Kongreß geworden.

Aber ein Kongreß aus der Sicht von Menschen mit HIV und Aids. Auf allen anderen Kongressen erleben wir immer eine starke Medizinlastigkeit. Die wird es bei uns nicht geben. Auch die Informationsangebote haben wir gekürzt. Statt dessen diskutieren wir über Diskriminierung innerhalb der Schwulen-Subkultur. Oder über Probleme von Menschen mit HIV und Aids, die als Hauptamtler bei der Aids-Hilfe arbeiten.

Stichwort Diskriminierung: Kostet es heute eigentlich noch Überwindung, sich als Infizierter zu bekennen, ist die Gesellschaft nicht viel toleranter geworden?

Die Repressionen sind nicht mehr so groß. Aber wenn man sich in einem kleinen Dorf oder in einer Kleinstadt als Positiver outet, dann kann man schon mit seltsamen Reaktionen rechnen.

Aber die Solidarität mit den Infizierten hat zugenommen.

Das stimmt. Ich glaube sogar, daß es heute nach zehn, elf Jahren Aids-Arbeit eine Verbesserung für die Situation der Schwulen gibt. Die Öffentlichkeit hat sehr viel mehr Informationen über schwule Männer erhalten, Vorurteile und Ängste wurden abgebaut. Wir können heute viel selbstverständlicher auftreten. Eigentlich ist die Gesellschaft bisher noch relativ solidarisch mit der Herausforderung durch Aids umgegangen.

Solidarität hat ihren Preis. Der drückt sich in den Mitteln aus, die für Krankheitsverhütung, für Projekte zur Pflege und Betreuung von Infizierten und Kranken zur Verfügung gestellt werden. Und dort regiert der Rotstift.

Es gibt für die Mittelkürzungen einen fast unscheinbaren Grund: Aids ist in den letzten Jahren zu einer selbstverständlichen Krankheit geworden. Und damit begann auch die Diskussion, ob es für Aidskranke und HIV-Positive eine Sonderbehandlung geben muß. Warum braucht man eigene Sozialstationen für Aidspatienten? Warum muß für einen Aidspatienten soviel Zeit aufgewandt werden, mehr Zeit als für andere Kranke? Warum kostet das soviel Geld? Das müssen wir ständig erklären. Auch in der Rentenfrage müssen wir immer wieder darauf hinweisen, daß Aidspatienten meist relativ jung sind und deshalb kaum Rentenansprüche haben.

Wo gibt es die größten Einschnitte bei den Mittelkürzungen?

Weniger in der Primärprävention, also bei der Krankheitsverhütung und Aufklärung, dafür um so mehr bei der Sekundärprävention, das heißt bei der Betreuung und Pflege von bereits Infizierten. Für eine vernünftige Aids-Arbeit gehört aber beides zusammen. Es wird für uns immer schwieriger, den Positiven und Kranken zu vermitteln, daß wir für sie kein Geld haben, wenn zugleich innerhalb kürzester Zeit ein Fonds von 24 Millionen Mark für die Bluter zusammenkommt. Es gibt also Geld für die „unschuldig Infizierten“, während man die Mittel für die „schuldig Infizierten“ zusammenstreicht.

Das Einladungsschreiben zum Kongreß ist betont locker formuliert. Gibt es bei Ihrem Treffen auch einen Platz für Trauer, oder soll die diesmal bewußt in den Hintergrund treten?

Die Installation der Gedenksteine des Künstlers Tom Fecht wird es auch in Stuttgart geben. Wir haben mitten in der Stadt einen Platz gefunden, wo wir diese Backsteine mit den Namen unserer Toten installieren können. Ein Wut-und-Trauer-Marsch wird vom Tagungsort im Maritim-Hotel zu diesen Steinen führen. Es gibt also einen Platz für unsere Trauer, aber es soll keine Trauerveranstaltung werden. Natürlich denken wir an diejenigen, die nicht mehr teilnehmen, aber wir wollen nicht traurig, sondern offensiv nach außen treten. „Offensiv positiv“ heißt unser Motto.

Die Aids-Hilfe ist eine Art Greenpeace für alle Betroffenen von Aids. Wann steigen Sie Herrn Seehofer aufs Dach? Bisher hat die Aids-Hilfe die harte Konfrontation vermieden.

Genau diese Diskussion werden wir in Stuttgart führen: die Aids- Hilfe im Spannungsfeld zwischen einem Bonner Ministerium, von dem sie bezahlt wird, und auf der anderen Seite den Menschen mit HIV und den Projekten, mit denen wir zusammenarbeiten, also Junkieprojekte, Frauenprojekte, Schwulenprojekte, das ganze Netzwerk. Vermutlich werden wir in Stuttgart heftig Prügel kriegen, wegen unseres, sagen wir mal: zahmen Kurses gegenüber dem Ministerium.

Der Aids-Hilfe wird häufig vorgehalten, sie sei abgehoben und habe sich zu stark von den Betroffenen entfernt.

Natürlich sind wir im Laufe der Jahre behäbiger geworden. Und bevor man sich mit dem Ministerium anlegt, denkt man auch an die vielen Arbeitsplätze, die inzwischen an der Aids-Hilfe mit ihren 130 Filialen hängen. Es wäre falsch, das zu leugnen. Aber mit unseren 200 Workshops, mit unseren konkreten Hilfsangeboten sind wir überhaupt nicht abgehoben.

Die Aids-Hilfen sollen sich in ihren Beratungsstellen um Fixer, Schwule, um infizierte Frauen und auch um Heterosexuelle kümmern. Sind sie damit nicht überfordert?

Ja. Nur mal ein Beispiel: Es gibt diese Plakate mit den nackten Männern. Da sagen die Frauen: Wir fühlen uns sexuell bedrängt. Hängen wir sie ab, protestieren die Schwulen. Auch bei den Drogengebrauchern sagen viele: Wenn hier so viele rumlaufen, dann komme ich nicht mehr, weil das nicht meine Welt ist. Die Fixer brauchen aber genauso Beratung und Hilfsangebote. Die Aids-Hilfen sind wirklich in heftiger Bedrängnis.

Vielleicht sollte man die Aufgaben auf mehrere Organisationen splitten?

Die Bundesrepublik ist zwar das einzige Land, das alles unter einem Dach versammelt hat. Aber als großer gemeinsamer Verband sind wir stärker. Man darf sich dann nur keine Illusionen machen, daß man alle Probleme endgültig lösen könnte. Interview: Manfred Kriener

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