: Dicke Luft an der Sielwallkreuzung
■ Geschäftsleute wollen den Gehweg zurückerobern / Initiative plant Gegenaktionen
Günther hat es eilig. Mit erhobenen Arm, den Zeige- und Mittelfinger zum Peace-Zeichen gespreizt, läuft er den Dobben entlang – geradewegs auf die Sielwall–Kreuzung zu. „Wie geht's“, fragt er im Vorbeigehen, läßt den rechten Arm sinken und umklammert mit beiden Händen seine zwei Bierdosen. Er will sie nicht alleine trinken und auf der Sielwall-Kreuzung „mal sehen, wer da ist.“ Er geht jeden Tag an die Kreuzung. „Wo soll ich denn sonst hin“, fragt er achselzuckend. Er hebt den Arm wieder, spreizt die Finger zum Peace-Zeichen und verschwindet in Richtung Kreuzung. Das Friedenszeichen täuscht. Am Sielwall herrscht dicke Luft.
Der Geschäftsmann Peter Erfurt plant für den 15. Juli einen Aktionstag unter dem Motto „Lebenslust statt Drogenfrust“ und will sich für einen Tag gemeinsam mit anderen Leuten den Gehweg zurückerobern. Gegen diese „menschenverachtende Propaganda zu Lasten der Junkies“ plant ein Vorbereitungsbündnis, bestehend aus dem AK Gesellschafts- und Kommunalpolitik im AstA, der Anarchistischen Alternative, dem Antirassismusbüro und der Junkie-Initiative J.E.S., eine Gegenaktion am Körnerwall.
Peter Erfurt, der seine Aktion nicht als „Kampftag“ verstanden wissen will, findet das „prima“. Er hofft, daß an diesem Samstag „beide Parteien miteinander reden“. Er hat den Leuten, die täglich vor den Geschäften „rumlungern“, nämlich eine Menge zu sagen. Im Dezember hat er seinen Laden an der Sielwall-Kreuzung eröffnet – doch schon jetzt „ist zeitweise unerträglich“, schimpft er. „Da fährt einer mit dem Fahrrad vor und verteilt seine Päckchen in dem Eingang meines Ladens.“ Er habe versucht mit den Dealern zu reden. „Doch das war zwecklos“, sagt er. Zwei seiner Verkäuferinnen seien als „blöde Fotzen“ beschimpft worden. „Die haben daraufhin gekündigt und gesagt, ,Deinen Laden kannst Du alleine machen' “, berichtet der Geschäftsmann. Für ihn sind diese Männer nichts weiter als „heruntergekommene Machos“, die den Platz besetzen. Er habe außerdem 30 bis 40 Leute beobachtet, die immer an der Kreuzung rumstehen, „saufen“, ihr „Springmesser“ zücken, „Kung-Fu-Fights“ austragen und „niemanden durchlassen“. „Ich habe immer gedacht, leben und leben lassen – aber das hat nichts gebracht.“ Jetzt will Erfurt es auf seinem Aktionstag mit einem Frühstück, einer Diskussionsrunde, Life-Musik und einem Straßenkünstler versuchen.
ür Jan Lam vom Anti-Rassismus-Büro ist das allerdings eine reine „PR-Aktion“, die „mit der Polizei abgesprochen“ wurde. „Es handelt sich grob gesagt um Hetze“, empört sich der Mitorganisator der Gegenaktion. Erfurt ginge es darum, „sozialschwache Menschen von öffentlichen Plätzen zu vertreiben“. Um die Nachteile des „Standortes Sielwall-Kreuzung“ habe der Geschäftsmann doch vorher gewußt. „Es ist ein ganz normales Gesetz der Marktwirtschaft, daß der Umsatz zurückgeht, wenn die Umgebung schlecht ist.“ Erfurt wolle vermutlich nur „seine Miete drücken“, empört sich Lam. Er wünscht sich, daß „möglichst viele Leute den Laden von Erfurt boykottieren und nicht mehr bei ihm kaufen.“ Stören wollen sie seinen Aktionstag „natürlich nicht“. Stattdessen wollen sie mit Infoständen und einem Kulturprogramm am Körnerwall gegensteuern und mit Passanten ins Gespräch kommen. Stören wollen sie den Aktionstag „natürlich nicht“. Stattdessen wollen sie mit einem Kulturprogramm und Infoständen auf ihre Misere aufmerksam machen. „Die Junkies stehen nur an der Siewall-Kreuzung, weil sie aus den Parks vertrieben wurden“, sagt Stephanie Wansleben vom Vorbereitungsbündnis. „Die Yunkies bräuchten dringend mehr Druckräume im Viertel“, fordert Jan Lam. „Eine einfache Lösung gibt es nicht. Die Antwort wäre eine liberale Drogenpolitik“, sagt er. Das sieht auch Peter Erfurt so. „Ich kann das nur unterstützen.“
Durch die Verlegung der Drogenberatungsstelle hofft Matthias Gruhl, Abteilungsleiter Gesundheit beim Senator für Soziales, daß „Situation im Viertel entzerrt wird“. Zum 7. August zieht das Kontakt- und Beratungszentrum und die medizinische Ambulanz ins Tivoli-Hochhaus. Es heißt, ein gewisser Teil der Drogenabhängigen ziehe mit den Beratungsstellen, erklärt Gruhl. „Aber, es soll sich keiner falsche Hoffnungen machen, daß das Problem damit auf Null gedreht wird.“
Der Streifenpolizist R. Heidorn wischt sich mit dem Unterarm über die Stirn. Es ist heiß. Seit 10 Uhr steht er an der Sielwall-Kreuzung und patroilliert. „Wenn wir hier sind, ist es friedlich“, sagt er. Er hat keine Probleme mit den vermeindlichen Besetzern der Kreuzung. „Wir verstehen uns gut mit den Leuten. Wenn sie wochenlang mit ihren Abzessen rumlaufen, fahren wir sie ins Krankenhaus und machen Druck bei den Ärzten. Die schmeißen die Leute mitunter nämlich raus. Eigentlich ist das eine ruhige Kreuzung hier.“
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