attac & neoliberalismus : Dichte Fakten
Seit über zwei Jahrzehnten herrscht in der Bundesrepublik das wirtschaftspolitische Dogma des Neoliberalismus. Der Staat zieht sich also immer weiter aus Wirtschaft und Gesellschaft zurück und verteufelt meist neue Schulden. Verpönt ist heute Helmut Schmidts Leitsatz: „Lieber fünf Prozent Inflation als fünf Prozent Arbeitslosigkeit.“
Diese jahrzehntelange, mal schwarz-gelb, mal rot-grün angehauchte Politik hat, neben der Vereinigung und dem Euro, entscheidend dazu beigetragen, Deutschland in der Wachstumstabelle immer tiefer rutschen zu lassen. Während die Regierung Schröder weiterhin den veralteten Kohl’-schen Programmen nacheifert, haben die Schrittmacher des Neoliberalismus längst ihren alten Ideen abgeschworen und auf expansiven Wachstumskurs umgeschaltet. Die US-Notenbank Fed etwa schielte weniger auf die Preise als vielmehr auf die Konjunktur und senkte den Leitzins auf einen historischen Niedrigstand von 1 Prozent. US-Präsident Bush schreckt nicht davor zurück, sich hoch neu zu verschulden, um durch teure Staats- und Rüstungsprogramme Industrie und Konsum anzukurbeln, Arbeitsplätze zu schaffen und Wählerstimmen zu gewinnen. Dies ist selbst der Weltbank positiv aufgefallen.
Deutschlands Regierungskreise dagegen verweigern sich einem solchen, im Grunde keynesianischen Kurs. Die öffentlichen Kassen sind leer, beteuert Finanzminister Eichel und stößt auf Kritik bei Attac. Dass die „Aktion für eine Tobin-Steuer“ mittlerweile weit über die Kritik an den internationalen Finanzmärkten hinausgewachsen ist, was nicht unumstritten erscheint, zeigt die auf elf Bände angeschwollene Buchreihe „Attac Basis Texte“. Das jüngste Werk widmet sich den öffentlichen Finanzen. Wohl nirgends sonst finden sich so geballt stichhaltige Argumente für eine aktivere Finanz- und Wirtschaftspolitik der Bundesregierung.
„Die ‚Krise der Staatsfinanzen‘ ist bei genauerer Betrachtung ein Mythos“, schreiben die Autoren des Attac-Bandes „Öffentliche Finanzen“. Seit den 1980er-Jahren stiegen Steuer- und Sozialeinnahmen ebenso stark wie das Bruttoinlandsprodukt. Von leeren Staatskassen könnte also eigentlich keine Rede sein – wären da nicht die gesellschaftlichen Kosten von Wiedervereinigung und Massenarbeitslosigkeit. Zudem wurden die Reichen aller Klassen immer mehr von lästigem Fiskalballast erleichtert, „grundlegende Tendenz ist die Entlastung von Gewinnen, hohen Einkommen und Vermögen, während Arbeit und Verbrauch höher besteuert werden“. Dahinter stehe eine neoliberale Strategie, die mittelfristig die Steuerlast weg von angeblich mobilen (Kapital) hin zu weniger mobilen Bemessungsgrundlagen (Konsum) verschieben will.
Die Attac-These, dass der Staat besser dasteht, als er tut, und dass er noch besser dastünde, würde er auch die betuchtere Hälfte der Gesellschaft stärker schröpfen, wird uns mit knackigem Zahlenmaterial durchaus schmackhaft gemacht. Nebenbei räumen Herausgeber Huffschmid und seine Autoren auch mit anderen öffentlichen Finanzlegenden auf, etwa der von den international zu hohen Lohnnebenkosten oder von den unsicheren Renten.
Wer kompakte Informationen über die Staatsfinanzen, garniert mit politökonomischen Hintergründen, sucht, sollte zu diesem Bändchen greifen. Dichte Fakten bietet auch der thematisch verwandte „Attac Basis Text 9“ über die Privatisierung von Bahn, Sparkassen und Wasserwerken. Beide Autorengruppen suchen zudem nach Alternativen und stellen sich die Frage „Was tun?“. Wenngleich sich ihre Antworten nicht mit denen in Lenins berühmtem, gleichnamigem Werk decken, reicht die Spanne doch vom schlichten, nichtsdestotrotz bewährten „Auf in die Ini“ bis hin zur Diskussion über „Utopie und Realität“. Viel mehr ist nicht drin auf knapp 100 Seiten.
Wer obendrein noch die Innensicht der politischen Organisation kennen lernen will, sollte zu dem Fischer-Taschenbuch „Alles über Attac“ greifen.
HERMANNUS PFEIFFER
Jörg Huffschmid u. a.: „Öffentliche Finanzen: gerecht gestalten!“ Attac BasisTexte 10, 96 Seiten, 6,50 Euro Peter Hauschild u. a.: „Privatisierung: Wahn & Wirklichkeit. Kommunen im Fadenkreuz“. Attac Basis Texte 9, 96 Seiten, 6,50 Euro Attac Deutschland (Hg.): „Alles über Attac“. Fischer TB, 208 Seiten, 7,90 Euro