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Diamantenhändler in der KriseAntwerpens kritische Masse

1.800 Diamantenhändler machen die Flandern-Metropole einzigartig. Jetzt spüren auch sie die Krise.

Die größten und wertvollsten Diamanten werden in Antwerpen geschliffen. Bild: dpa

ANTWERPEN taz | Yair Golan aus dem Juweliergeschäft Jewel Maya in Capetown ist mit fünf Diamanten abgehauen. Der unscheinbare Zettel mit dieser Information hängt am Schwarzen Brett in der jüdischen Diamantenbörse von Antwerpen. Für jeden der geklauten Klunker sind "die vier C" beigefügt - ein Steckbrief, der den Stein für den Fachmann unverwechselbar macht: Carat für Gewicht, Clarity für Reinheit, Colour für Helligkeit und Cut für den Schliff des Steines.

Weder der Zettelkasten an der Wand noch die gelassene Atmosphäre im bibliotheksartigen Gründerzeitsaal der 1904 gegründeten Börse würde vermuten lassen, dass hier jährlich Milliarden umgesetzt werden. An den langen Holztischen sitzen alte Männer in langen Mänteln und schwarzen Hüten beim Schachspiel. Im koscheren Restaurant, das auch vegetarische Speisen anbietet, stehen saure Gurken und Colaflaschen mit hebräischem Aufdruck auf dem Tisch. Nur Mitglieder und deren Gäste sind hier zugelassen.

Vier der weltweit 25 Börsen, die mit Rohdiamanten und bearbeiteten Steinen handeln, sind in Antwerpen. Zwar ist die Stadt nicht mehr die Hochburg der Diamantschleifer. Viele Unternehmen sind in den vergangenen Jahrzehnten nach Indien und Afrika weitergezogen, wo die Arbeitskräfte viel billiger sind. Etwa 600.000 Diamantschleifer gibt es in Indien, 25.000 in China, nur noch 1.000 in Antwerpen. "Kleine Bröckchen schleifen die in Indien und China noch sorgfältig zurecht, die für uns hier in Antwerpen nur Diamantenstaub sind", sagt Ari Epstein vom AWDC, dem Verband der Händler und staatlichen Zulassungsbehörden, leicht abfällig.

85 Prozent aller Rohdiamanten werden nach wie vor in Antwerpen registriert, die Hälfte aller bearbeiteten Steine wird hier umgeschlagen. Doch nur die größten und wertvollsten Steine werden hier geschliffen. Der sagenhafte "Lesotho Promise", der vor vier Jahren in einer tot geglaubten Mine in Lesotho gefunden wurde, steht mit 603 Karat, also 120 Gramm Gewicht, an fünfzehnter Stelle der weltweit entdeckten Steine. Er wurde in Antwerpen registriert, verkauft, in 29 Stücke geschnitten und geschliffen.

Damals florierte der Handel noch. Mittlerweile traf die Wirtschaftskrise die Branche doppelt: Die Bankkredite, mit denen sowohl die Minengesellschaften die Förderung vorfinanzieren als auch die Käufer von Rohdiamanten die Zeit bis zum Weiterverkauf überbrücken, fließen kaum noch. Und die Endkunden, die in einem Schaufenster in New York oder Paris eines der glitzernden Schmuckstücke begehren, haben kein Geld mehr. Der größte Minenbetreiber De Beers stoppte die Förderung im ersten Quartal dieses Jahres fast vollständig. In Indien gingen seit Oktober 400.000 Arbeitsplätze für Diamantschleifer verloren. Staaten wie Botswana oder Lesotho stehen vor dem Staatsbankrott. Beim Schmuckkonzern Tiffanys ging der Umsatz im ersten Quartal um fast zwei Drittel zurück. Und in Antwerpen wurden 800 der verbliebenen 1.000 Diamantschleifer in Kurzarbeit geschickt.

Doch Freddy Hanard, Geschäftsführer des AWDC, des Antwerp World Diamond Centre, das die Interessen von Minenbesitzern, Händlern und Einfuhrbehörden vertritt, übt sich in Zweckoptimismus. Seit ein paar Wochen ziehe der Handel wieder an. Auch Bankkredite seien zu bekommen.1.800 Diamantenhändler auf engstem Raum, das sei die "kritische Masse", die Antwerpen immer noch einzigartig mache.

Mit dem Logo eines riesigen kristallklaren Diamanten, der hinter der Silhouette Antwerpens aufgeht, wirbt das AWDC für den belgischen Handelsplatz. Der Kontrast zwischen Werbung und Wirklichkeit könnte kaum größer sein. Wer sich als Tourist ins Diamantenviertel verirrt, sieht öde 60er-Jahre-Fassaden, ärmliche Hauseingänge und Männer, die mit großen schwarzen Rollkoffern zwischen den Gebäuden hin- und herlaufen. Nichts Ungewöhnliches für ein Einwandererviertel in Bahnhofsnähe. Doch wenn ein solcher Koffer in der Zollstelle oder bei der Qualitätskontrolle geöffnet wird, dann kommt ein kleines Plastiksäckchen mit ein paar milchigen Steinen zum Vorschein. Die Waage zeigt hundert Gramm, also 500 Karat. Der große Koffer barg zwar wenig Gewicht, aber einen Warenwert von 800.000 Dollar.

Seit einem Bombenanschlag 1981 auf die kleine Synagoge in der Hovenierstraat, bei der ein Mensch getötet und 80 verletzt wurden, ist die aus drei Straßen bestehende Zone für den Autoverkehr gesperrt. An jeder Ecke sind Überwachungskameras und Notrufsäulen installiert. Die Polizei patrouilliert regelmäßig. Das Viertel gilt als so gut gesichert, dass die Versicherung zahlt, wenn auf diesen drei Straßen ein Diamant abhanden kommt.

Unter den wachsamen Augen der Sicherheitsdienste trifft das Schtetl den Basar, jeder kennt jeden - und treibt Handel mit ihm. Ob Antwerpener Juden, Israelis, Libanesen, Inder oder Armenier - auf dieser Welthandelsbühne zählen Vertrauen und Reputation, nicht Rasse und Religion. Wenn der junge libanesische Playboy mit halblangem Haar, Ohrring und Sonnenbrille dem alten bärtigen Juden die Hand reicht und "Mazal!" sagt, dann ist ein Handel geschlossen, an den beide Vertragspartner gebunden sind.

Dieser folgenreiche Handschlag, ein Vertrag aus Vorväterzeit, setzt ein hochmodernes Warenkarussell in Gang. Er bildet die Grundlage für einen Überbrückungskredit, der innerhalb von 35 Tagen durch eine Weiterverkaufsgarantie gedeckt werden muss. Innerhalb von weiteren 180 Tagen muss er zurückgezahlt werden. In der Zwischenzeit wird ein Rohdiamant, der aus der Diamantenmine in Lesotho oder Südafrika via Flughafen Brüssel in gepanzertem Wagen zum Großhändler nach Antwerpen gekommen war, zur Bearbeitung nach Bombay, Schanghai oder Tel Aviv geschickt. Seine Reise endet vielleicht in einem Edelschaufenster an der 5th Avenue.

Im Zettelkasten der jüdischen Diamantenbörse Antwerpen kann man manche Reisepanne zurückverfolgen. Hinter den lapidaren Zeilen verbergen sich menschliche Dramen, Krimis, hohe Politik und der ganz banale Alltag einer Branche, die mit wertvollen Steinen handelt wie andere Leute mit Kichererbsen. In der Rubrik "Verloren - Gefunden" haben sich sechs ehrliche Finder gemeldet, elf Steine wurden verloren. Zwei weitere sind als gestohlen gemeldet. "Wenn jeden Tag hunderte Rohdiamanten durch Ihre Hände gehen, dann fällt schon mal einer runter", lacht Karin de Mulder vom Diamantenzentrum Antwerpen. "Die Dinger sehen aus wie kleine schmutzige Milchglasbröckchen. Wenn Sie auf der Straße so einen Stein sähen, Sie würden sich nicht mal danach bücken!"

Symbol der Reinheit

Außerdem wäre ein Stein ohne Zertifikat so gut wie unverkäuflich. Keine seriöse Börse würde ihn handeln, kein Juweliergeschäft den Schmuck ohne Zertifikat verkaufen, beteuert de Mulder. Die Branche bewirbt ihr Produkt gern als Symbol der Reinheit und Klarheit - das hässliche Geschäft mit sogenannten Blutdiamanten, die Bürgerkriege finanzieren helfen, ist dem Image abträglich (siehe "Kimberley-Prozess"). Deshalb sind im Zettelkasten der jüdischen Börse auch Rohsteine aus der Mine Marange in Simbabwe abgebildet. Diese Steine dürfen nicht gehandelt werden, da die Regierung von Simbabwe beschuldigt wird, Minenarbeiter im Streit um Schürfrechte erschossen zu haben. Menschenrechtsorganisationen fordern seit langem, sämtliche in Simbabwe geförderten Rohdiamanten wegen der Menschenrechtslage im Land vom Handel auszuschließen.

"Diamanten sind ein Symbol für Liebe und Zuneigung, sie müssen ein ethisches Produkt sein", erklärt Diamantenlobbyist Hanard. Man habe aus dem Desaster der Pelzindustrie gelernt. Das Bild kleiner, hingeschlachteter Robbenbabys habe der Branche enorm geschadet. Also wird dafür gesorgt, dass das Image des eigenen Produkts lupenrein bleibt. Allerdings, räumt sogar Hanard ein, können Herkunftszertifikate ziemlich leicht gefälscht werden. Seit das Ausfuhrverbot für die Elfenbeinküste besteht, sind die Exporte aus dem benachbarten Ghana stark angestiegen.

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1 Kommentar

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    Es zählen also Vertrauen und Reputation, nicht Rasse und Religion...

     

    Hat man bei der taz nicht langsam erkannt, dass Menschen nicht in Rassen unterschieden werden?

    Das ist wirklich ein Armutszeugnis.