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Diagnose der AL: Koalitionsbruchphobie

■ Die Alternative Liste leidet an fortgeschrittenen Symptomen einer ernst zu nehmenden Krankheit

Die AL ist krank. Geahnt haben wir das schon länger, Journalisten haben es seit Jahren immer wieder konstatiert, politische Gegner haben darauf gebaut. Überrascht hat vielmehr die Diagnose. Nicht etwa politisches Siechtum, Apathie oder Streitunlust mit Mauschelbeschwerden haben die Al befallen. Auch leiden führende Vertreter der Partei nicht, wie viele meinten, an Profilneurose mit der typischen Kompensation durch ausgeprägtes Machtstreben. Wären es diese Krankheiten, wir brauchten uns nicht zu beunruhigen: Von ihnen werden alle parlamentarischen Parteien spätestens beim Anblick politischer Machtpartizipation befallen; sie sind deshalb als völlig normale Nebenwirkungen z.B. bei Regierungsbeteiligung bekannt. Jahrelange empirische Studien am Patienten FDP haben nachweisen können, daß kleinere Koalitionspartner häufiger und heftiger von diesen auch „Alltagsbeschwerden der Parteiendemokratie“ genannten Symptomen befallen werden. Daß beim Weg der AL von der Basisdemokratie in den Parteienfilz diese Beschwerden viel stärker auftreten würden, davor hatte sogar der selbsternannte Erziehungsberechtigte der AL, Momper, gewarnt.

Nein, die Krankheit ist viel ernster. Es handelt sich nämlich um die sehr selten auftretende Koalitionsbruchphobie, unter medizinischen Laien auch als krankhafte Angst vor Partnerverlust bekannt. Der bisherige Krankheitsverlauf läßt dabei auf ein schon ziemlich weit fortgeschrittenes Stadium der Krankheit schließen. Denn nachdem die AL schon die Anfangsphase - Koalitionseuphorie genannt (erinnert sei an die Freudentaumel ausdrückenden Bilder bei Beschluß der Koalition) - sehr schnell hinter sich hatte und in das Stadium derKoalitionsbruchmanie mit den dabei auftretenden typischen infantilen Trotzreaktionen gewechselt war, scheint jetzt auch das dritte Stadium -Koalitionsapathie genannt - durchlaufen. Zu streiten ist deshalb nur noch darüber, ob es sich zur Zeit um die finale Koalitionsbrucheuphorie handelt, die bei normalem Verlauf mit einem unbändigen Durchhaltewillen und Rückgratschwund bei gleichzeitigen krampfartigen Bauchschmerzen verbunden ist und in der Regel durch äußere Einwirkungen, zum Beispiel Wahlen, zum Tode führt, oder ob die Krankheit den Verlauf durch die Koalitionsbruchphobie (das heißt Angst vor Angstanfällen) nimmt. Hinweise für diesen Verlauf sind Anzeichen schizophrener Verhaltensweisen des Patienten: Unterwürfige Koalitionstreue paart sich zunehmend mit fieberhaften Phantasien über sogenannte „Ausstiegsszenarien“.

Sollte diese Diagnose zutreffen, ist der weitere Krankheitsverlauf schwer vorhersehbar. Zu rechnen ist damit, daß die Autoaggressivität bis zur Selbstzerfleischung zunehmen und auch die schon vorhandene Abkapselung von politischen Aktivitäten einen Grad erreichen wird, der ein von der Öffentlichkeit unbemerktes Dahinscheiden erwarten läßt.

Götz Schwarzrock

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