■ Deutschland anonym: „Neulich habe ich es Ralph Giordano besorgt“
Wie ist das eigentlich, Leserbriefe zu schreiben und nicht abzuschicken?
Mich treibt die schiere Lust an der Sprache. Mit Worten ganz unsachlich auf andere einschlagen, auf jeden, der Fehler gemacht hat, das ist herrlich! Ein Genuß, den man nicht büßen muß, weil keiner es je erfährt.
Irgendwie pervers das ...
Ach was. Neulich habe ich's Ralph Giordano besorgt, diesem Freier auf dem Medienstrich! Der schreibt sogar Briefe an Margarethe Schreinemakers – eine Sünde! Briefe an diese Person, die betrogene Waigel-Frauen abmelkt! Da spucke ich!
Warum machen Sie Ihre Wut, Ihren Haß nicht öffentlich?
Damit nicht alle merken: Da hockt einer in seiner Stube und schreit: Beachtet mich! Außerdem: Wenn ich meine Briefe von vor zehn Jahren durchsehe, finde ich, wenn ich ehrlich bin, viel Meinung und wenig Erkenntnis. Das ist doch peinlich. Schließlich will ich nicht enden wie Ute Ranke- Heinemann oder Hendryk M. Broder. Die posaunen überall rum und erzählen schließlich in irgendwelchen Talkshows Lügengeschichten über ihr Sexualleben. Nein, ich kenne meine niederen Beweggründe, und pflege Selbstzensur: Koitus reservate.
Im Klartext. Sie sind ein Angsthase, und Sie wissen das.
Oh ja, ich habe schreckliche Angst. Man ist so wehrlos. Einmal habe ich einen Brief abgeschickt, weil sie eine Musikhalle nach Furthwängler benannten. Was für eine Schlacht! Wir haben uns duelliert, der Leserbriefredakteur und ich. Er nannte mich einen „das Bürgertum schlagenden Stalinisten“. Der hat mich so Er ist über 40, Lehrer und leichtgläubigen Freunden als verbindlicher, gut gekleideter und überaus zuvorkommender Nichtschwimmer bekannt. Doch nachmittags, wenn er allein ist, spitzt der Studienrat die Feder – und beschimpft und verteufelt, verflucht und beleidigt in Leserbriefen all jene, die ihn durch ihre Veröffentlichungen geärgert haben. Doch kein Brief wird je abgeschickt.
zur Brust genommen, daß ich eine Ruhepause einlegen mußte.
Aber von diesem Tiefschlag haben Sie sich längst erholt ...
Ja. Ich schäme mich meiner Emotionen, aber sachlich zu sein, macht nur den halben Spaß. Also mach ich mir einen vergnüglichen Nachmittag. Wenn ich ganz verwegen bin, frankiere ich sogar. Ich verliebe mich so in meine Briefe, daß ich sie auswendig lerne und tagelang vor mich hin sage. So ein Brief brummt in mir.
Niemand darf Ihre Ergüsse sehen?
Einmal habe ich einen Brief meiner Freundin gezeigt. Das war, als ich die Künstler-AG vernichten wollte, die ihr Bild nicht ausgestellt hat. Sie hat mich angefleht, nicht abzuschicken.
Was ist der Auslöser für die Schreib-Wut?
Es muß eine echte Empörung vorliegen, wahrer Grimm. Wie im Fall Klaus Theweleit. Den habe ich im Zorn sogar mit Uwe Barschel verglichen.
Womit hat alles begonnen?
Meine Urkränkung ist, als Liedermacher nicht berücksichtigt worden zu sein. Ich beschimfte öffentlich meine Kollegen und flog raus. Das war mir eine Lehre.
Schreiben sie doch an die taz, da gibt es viele verrückte Leserbriefe. Da fallen Sie gar nicht auf.
An die taz habe ich aus Sympathie schon mehrfach nicht abgeschickt. Aber auf eure Leserbriefseite will ich nicht, zu den verknöcherten Taz-Moralintanten! Über die schrieb ich: „Hat die taz nur diese Birkenstockpäderasten als Klientel?“ Sagen Sie selbst: Das kann man doch nicht abschicken. Interview: Michaela Schießl
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