Deutscher Schach-Star Vincent Keymer: Im Endspiel souverän
Deutschlands bester Schachspieler deutet an, dass er seine Schwäche überwunden hat. Das WM-Kandidatenturnier verpasst Vincent Keymer knapp.
Ein bisschen Glück gehört dazu. Auf dem Weg zu seinem hervorragenden fünften Platz beim Fide Grand Swiss profitierte Deutschlands bester Schachspieler Vincent Keymer von der Berührt-geführt-Regel. In der vierten Runde war die Stellung gegen Andrij Wolokitin ausgeglichen, als der ukrainische Großmeister, wohl versehentlich, einen sogenannten vergifteten Bauern anfasste.
Augenzeugen gab es außer den beiden Kontrahenten dafür zwar keine, doch nachdem Keymer den Schiedsrichter zum Brett gebeten hatte, war Wolokitin geständig, zog den Bauern und verlor einen Turm. Keymers Sieg mit den schwarzen Steinen war anschließend Formsache.
Es würde Keymers Leistung freilich nicht gerecht, seinen Erfolg beim wohl härtesten Turnier des Schachjahres auf diesen Anfängerfehler zurückzuführen. Auf der Isle of Man in der Irischen See spielte der 18-Jährige, in der Live-Weltrangliste jetzt auf Platz 18, zwölf Tage lang klassisches Schach auf Spitzenniveau. Teilweise dauerten die Partien über sechs Stunden. Keymer verlor von seinen elf nur eine einzige.
Auf den Rückschlag folgen zwei eindrucksvolle Siege
In der achten Runde unterlag er dem sehr gut vorbereiteten Andrei Jessipenko aus Russland, sonst remisierte und gewann er je fünfmal. Besonders die Siege gegen Nihal Sarin (Indien) und Wladimir Fedossejew (Slowenien) waren eindrucksvoll. Nicht nur, dass sie ihm direkt nach dem vermeintlichen Rückschlag gegen Jessipenko gelangen. In beiden Partien stellte Keymer unter Beweis, dass er auf einem guten Weg ist, seine letzte größere Schwäche hinter sich zu lassen.
Was Eröffnungen und Theorie angeht, kann der Großmeister schon länger mit der Weltklasse mithalten, doch er scheiterte zuletzt daran, die guten Positionen auch in Siege umzuwandeln. Beim World Cup im August war Keymer nur einen Zug davon entfernt, die Überfigur Magnus Carlsen aus dem Turnier zu werfen. Doch er übersah den Zug Springer auf e4.
Beim Grand Swiss hingegen vollendete er die Chancen, die er sich selbst vorbereitet hatte. Gegen Sarin nahm er sich dafür gut elf Minuten Bedenkzeit vor dem 18. Zug, bewegte dann seinen Läufer auf f4 und nutzte den unklugen Damentausch seines Gegners innerhalb kürzester Zeit zum Sieg: Nach 30 Zügen war der indische Großmeister geschlagen.
Gegen Fedossejew wiederum ließ sich Keymer bei klarer Gewinnposition auch von der knappen Zeit nicht aus der Ruhe bringen und besiegte die Nummer 57 der Welt in der vorletzten Runde souverän.
Keymer, gewohnt unaufgeregt, sagte hinterher: „Gegen solch gute Gegner kannst du nichts erzwingen. Ich habe einfach alles gegeben, um das Spiel zu gewinnen.“ Das galt mit Sicherheit auch für seine letzte Partie des Turniers, doch gegen den Weltranglistenzweiten, Fabiano Caruana aus den USA, war für Keymer mit den schwarzen Steinen nicht mehr als ein Remis zu holen.
Der erste deutsche WM-Kandidat seit 1991?
Zuvor hatte die deutsche Schachgemeinschaft ausgerechnet, dass der 18-Jährige mit einem Sieg sogar eine Minimalchance auf den zweiten Platz und somit das WM-Kandidatenturnier gehabt hätte – als erster Deutscher seit Robert Hübner 1991. Doch weil der Inder Vidit Gujrathi parallel zu Keymers Remis seine abschließende Partie und somit den Grand Swiss gewann, brauchte Keymer sich über diese vergebene Möglichkeit nicht weiter zu ärgern. Zumal sie theoretisch sogar weiter besteht.
Für das Kandidatenturnier in Toronto, bei dem im April der Herausforderer für Weltmeister Ding Liren ermittelt wird, sind noch zwei Plätze zu vergeben. Keymers Weg dorthin könnte über den sogenannten Fide Circuit, einer Gesamtwertung für Schachturniere während des gesamten Jahres, führen. Die ist zwar kompliziert, umfasst aber unter anderem nationale Meisterschaften.
Keymers Problem: Die German Masters, bei denen faktisch der beste deutsche Spieler ermittelt wird und deren Titelverteidiger Keymer ist, werden vom Deutschen Schachbund (DSB) nicht als Deutsche Meisterschaft geführt. Das könnte sich nun ändern. Auf taz-Anfrage teilt der DSB mit, dass der Berliner Schachbund für den nächsten Bundeskongress einen Antrag eingereicht hat, um das Turnier künftig als nationale Meisterschaft zu werten.
Die Masters beginnen zwei Tage nach dem Kongress.
Hinweis: in einer früheren Version dieses Textes hieß es versehentlich, dass Nihal Sarin Iraner sei. Tatsächlich ist er Inder. Wir haben die Stelle entsprechend korrigiert und bitten um Entschuldigung.
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