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■ Deutsche wetten, was das Zeug hält – in GroßbritannienÜber Nacht Millionär werden

London (taz) – Glücksspiel verdirbt die Moral und macht süchtig. In Deutschland ist es deshalb auch – abgesehen von Pferdewetten und wenigen anderen lizenzierten Ausnahmen – verboten. In der Natur der echten SpielerInnen allerdings liegt etwas, das sich über diese Moralvorstellungen hinwegsetzt – und dafür gehen sie meilenweit, zum Beispiel ins Buchmacher-Mekka Großbritannien. Seit Anfang der 80er fröhnen per Post oder Telefon Tausende Deutsche regelmäßig der Wettlust von ihren Wohnzimmern aus. Für die einen erfüllt sich der Traum vom Glück, wenn ihr Lieblingskicker zum Torschützen des Monats gekürt wird, andere wollen mit kleinem Einsatz über Nacht zum Millionär werden.

Allein die umfangreiche Kundenkartei in dem Fern-Wettbüro SSP-Overseas Bettin, das als erstes seinen Fuß nach Deutschland gesetzt hatte, bringt den Beweis für die Wettlust der Deutschen und sicher manchen Moralapostel zum Erröten: Rund 400.000 KundInnen aus der Bundesrepublik haben hier ihre Wettkonten eingerichtet. Zu den wirklich aktiven SpielerInnen zählt Firmensprecher Rudolf Varchmin allerdings lediglich rund 30.000. Die, erklärt er, wetten dann aber wirklich regelmäßig. Was den AmerikanerInnen der American Football, den JapanerInnen ihr Sumo-Kampf, den BritInnen ihr Cricket, das ist den Deutschen beim Wetten natürlich ihr Fußball. „Gut 85 Prozent unserer deutschen KundInnen setzen auf Ereignisse in der Bundesliga“, so der Wettexperte. Um den Torschützen des Monats spekulieren die SpielerInnen da ebenso eifrig wie um den deutschen Meister am Saisonende. „In der vergangenen Saison waren Bayern München und Borussia Dortmund da eindeutig die Favoriten“, so Varchmin.

Neben Rudi, Bobbele und Co. gibt es natürlich auch andere Gebiete, auf die waghalsigere Kunden setzen. Der jährliche Grand Prix de la Chanson, weiß Varchmin, sei für bundesdeutsche Spielernaturen ebenso ein Reizwort wie die verschiedenen Parlamentswahlen. Der Kopf einer Politikerin oder eines Politikers hat so manches Mal nicht nur über den Ausgang einer Wahl, sondern auch darüber entschieden, ob sich Meyers in Castrop-Rauxel den neuen Zweitwagen leisten konnten oder nicht.

Nun ist es allerdings nicht so, daß deutsche Wettkunden sich nur für die Ereignisse im eigenen Lande interessieren. Varchmin weiß von etlichen, die regen Anteil am Geschehen im englischen Königshaus nehmen. Wird es da bald wieder Nachwuchs geben? Wie werden die lieben Kinderlein heißen? Das sind Fragen, die deutschen WettkundInnen schon mal einen Fünfziger wert sind. Der Phantasie sind eben keine Grenzen gesetzt. Jedenfalls fast keine, wie Varchmin einschränkt. Denn es gäbe Vorschläge, bei denen spiele sein Büro nicht mit, „und zwar immer dann, wenn es um das Schicksal von Personen geht“.

Wem das Sport- und Weltgeschehen zu trocken ist, der setzt eben auf eigens aufgestellte Wetten. „Da ist etwa der Vater, der darauf wettet, daß sein dreijähriger Sohn in 15 Jahren in der Nationalmannschaft spielt. Oder der Amateurmusiker mit der Illusion, daß er bald in die Charts kommt. „Nicht gerade ein Ausmaß an Originalität, doch es gibt auch exotischere Wetten wie: „In der ersten Hälfte des Jahres landet in unserer Stadt ein Ufo“. Nicht immer, so Varchmin, sei er dann bereit, sich hinzusetzen, „um für so einen Quatsch eine Quote auszurechnen“. Zwar könnte er einfach eine Pauschale von 1:20.000 vorschlagen. Doch Vorsicht sei eben die Mutter der Porzellankiste. „Wer“, meint Varchmin, „garantiert mir, daß in diesem Jahr nicht wirklich ein Ufo in Deutschland landet.“ Antje Passenheim

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