Deutsche und Polen : Zeit für die Oder
Wer bei einem Wort wie Odertal nur an den Nationalpark Unteres Odertal denkt, liegt falsch. Mittlerweile ist auch das Mittlere Odertal zum touristischen Highlight für Naturliebhaber und Radwanderer geworden. 200 Kilometer Radwege hat die „Akcja Zielona“, die „grüne Aktion“, zwischen Głogów und Brzeg Dolny anlegen lassen. Nachhaltige Entwicklung wird hier groß geschrieben. Ein Paradies für Umweltschützer also und ein Paradigmenwechsel in der polnischen Wasserbaupolitik?
Mitnichten. Durch das 2001 beschlossene „Programm für die Oder 2006“ ist auch die Einzigartigkeit des Mittleren Odertals bedroht. In Malczyce nämlich wird bereits an einer neuen Staustufe gebaut. Und das bedeutet, so die grüne Aktion, ein Absinken des Grundwassers und ein Austrocknen der Auenwälder.
Umweltschützer haben es, anders als die Wasserbauer, nicht leicht in Polen. Nicht zuletzt deshalb haben sie sich mit ihren Kollegen aus dem Ausland zusammengeschlossen. „Zeit für die Oder“ heißt das Bündnis, zu dem 30 polnische, deutsche und tschechische Initiativen gehören. Ihr Ziel: der Erhalt der naturnahen Räume des Flusses. Ihr großer Gegner: Das Programm Oder 2006.
Doch die Umweltschützer aus Berlin, Breslau und Ostrau haben auch einen Verbündeten. Es ist die neue Wasserrahmenrichtlinie aus Brüssel. Sie besagt, dass sich an keinem der europäischen Flüsse der ökologische Zustand verschlechtern dürfe. Mehr noch: Die EU-Staaten sind sogar gehalten, so genannte Natura-2000-Schutzgebiete an Brüssel zu melden. Die würden dann unter ganz besonderem Schutz der Europäischen Union stehen. Auch eine Internationale Kommission zum Schutz der Oder (IKSO) mit Sitz in Breslau ist inzwischen gegründet.
Am Oberlauf des Flusses haben die Umweltschützer bereits Erfolg gehabt. Dort, wo die Oder noch in atemberaubenden Mäandern verläuft, hatte der Strom beim Hochwasser 1997 eine Abkürzung gewählt. Die Behörden wollten den Fluss danach wieder in sein altes Bett zwingen. Die Naturschützer dagegen forderten, ihn im neuen, natürlichen Lauf zu belassen. Mit Erfolg. Seitdem müssen die Landkarten neu gezeichnet werden. Die Grenzmäander der Oder bilden nämlich auch die Grenze zwischen Tschechien und Polen.
Am Mittleren Odertal kann man davon nur träumen. Warschau hat den Auenwald nicht einmal als Natura-200-Gebiet nach Brüssel gemeldet. Schifffahrt und Naturschutz, sie scheinen noch immer unüberbrückbare Gegensätze zu sein.
Beim Bündnis „Zeit für die Oder“ hat man sich deshalb entschieden, ganz auf die Schifffahrt zu verzichten. Zumindest auf den Gütertransport. Der soll auf die Schiene. Ausgebaut werden soll dagegen die Touristenschifffahrt. Schließlich ist hier am einfachsten die Öko-Formel zu realisieren, wonach sich die Schiffe dem Fluss und nicht der Fluss den Schiffen anzupassen habe.
Inzwischen hat auch die Tourismuswirtschaft darauf reagiert. Die Reederei Deilmann hat zum Beispiel mit der „Frédéric Chopin“ ein Flusskreuzfahrtschiff auf den Markt gebracht, das nur 105 Zentimeter Wassertiefe hat. Noch freilich ist der Markt erst am Entstehen. Das gilt für allem für den Berliner Raum. Die Reederei Adler, die bis zum polnischen EU-Beitritt noch zur Schnäppchenfahrt lud, hat ihre Oderschiffe inzwischen verkauft. Keine Nachfrage, heißt es zur Begründung. UWE RADA