■ Deutsche Soldaten und Tornados nach Bosnien?: Ersatz für Politik
Die aktuelle Debatte um den Einsatz von Bundeswehreinheiten in Bosnien vernebelt mehr, als sie klärt. Auf der einen Seite die Bundesregierung, die jetzt endlich die Gelegenheit gekommen sieht, unter Berufung auf Bündnistreue und internationale Verantwortung die bisherige militärische Selbstbegrenzung der Bundesrepublik zu überspringen. Auf der anderen Seite die überzeugten oder taktischen Pazifisten, die in glatter Verkehrung der Kriegsursachen ein stärkeres (und parteiliches) militärisches Engagement von UNO und Nato in Bosnien als „Verhinderung einer friedlichen Lösung“ ablehnen. Und schließlich die pfiffigen Strategen, die der Entsendung von Sanitäts- oder Pioniereinheiten zustimmen wollen – aber bitte nicht nach Bosnien, sondern nach Kroatien, weit vom Kriegsschauplatz entfernt. Wer will schon Verantwortung übernehmen, wenn die ersten deutschen Soldaten im Zinksarg nach Hause geflogen werden?
Am allerwenigsten geht es bei dieser Debatte um Bosnien. UN und Nato offenbaren kein Konzept für den Einsatz von Kampftruppen und die „Umgruppierung“ der Blauhelme. Und weder Volker Rühe noch seine Opponenten argumentieren mit einer überzeugenden Strategie, wie mit oder ohne deutsche Tornados der Zerstörung eines international anerkannten, multiethnischen Staates Einhalt geboten werden könnte. Statt dessen geht es um den innenpolitischen Streit, ob und inwieweit die Bundeswehr außerhalb des Nato-Verteidigungsfalls aktiv werden darf.
Wenn zur Entscheidung stünde, die in den UN- Schutzzonen ghettoisierten Menschen effektiv zu schützen, die Versorgungswege für humanitäre Hilfe zu öffnen und den großserbischen Kriegsfürsten zu demonstrieren, daß Terrorismus und ethnische Säuberungen nicht länger toleriert werden – dann gäbe es keine Rechtfertigung für die Bundesrepublik, sich einer internationalen Aktion zu verweigern. Es bliebe nur die nüchterne Frage, welche Folgen das Auftauchen deutscher Soldaten auf dem Balkan hätte.
Aber solange niemand weiß, ob die neuen Einsatztruppen am Ende den schrittweisen Abzug der Blauhelme flankieren sollen, ob die „Umgruppierung“ der UN-Truppen auf die Preisgabe der Schutzzonen hinausläuft, ob die verstärkte militärische Präsenz der Nato sich gegen Vorstöße der bosnischen Regierungstruppen richten wird, wäre eine Ermächtigung für Out-of-area-Kampfeinsätze der Bundeswehr leichtfertig. Die aktuellen Signale von der UNO und vom G-7-Gipfel unterstreichen die Befürchtung, daß „Neutralität“ und das Pochen auf den Waffenstillstand sich de facto gegen den verzweifelten Versuch der bosnischen Regierung wenden, den Belagerungsring um Sarajevo zu durchbrechen. Wenn jetzt die bosnische Regierung unter Druck gesetzt wird, die Waffen niederzulegen, während gleichzeitig die UN nicht in der Lage sind, die serbischen Eroberungen zu stoppen und das Überleben der republikanischen Enklaven zu sichern, verwandeln sich die „Friedenstruppen“ faktisch in Schutztruppen der Aggressoren. Daran sollte die Bundeswehr nicht mitwirken. Die Beschwörung von „Bündnistreue“ ist kein hinreichendes Motiv, die militärische Abstinenz der Bundesrepublik außerhalb der Nato-Grenzen aufzugeben. Militär ist die Ultima ratio der Politik, kein Ersatz für sie. Ralf Fücks
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