■ Deutsche Professoren lesen träge vor. Die Studierenden schalten gleich ab oder schlafen ernüchtert ein: Das Drama der Hochschuldidaktik Von Christian Füller: Der Kanal ist verstopft
Studierende, die auch nur für ein Semester im Ausland waren, schwärmen später von der Mühe, die sich Hochschullehrer anderswo mit der Lehre geben. In der Bundesrepublik hingegen kommen Universitäten pädagogischen Wüsten gleich. Auch das neue Hochschulrahmengesetz wird an diesem Mißstand nicht viel ändern.
Was einen guten Professor auszeichnet? Da braucht Peter Gendorf nicht lange zu überlegen. „Gut ist, wenn der Professor die Technik auch nutzt, die es gibt“, sprudelt es aus dem Studenten an der Fachhochschule für Wirtschaft und Technik in Berlin heraus. Folien auf dem Overheadprojektor machen ihn schon glücklich. Wenn der Lehrer seinen Vortrag mit Graphiken illustriert, haben die Studenten mehr davon. Das aber ist die Ausnahme.
Die Zeit der großen Lehrer an den Unis scheint vorüber. Kaum noch pilgern Hunderte von Studierenden zu einem der Gelehrten. In deutschen Hörsälen geht es zu, als handelte es sich bei den Lernwilligen um Kinder vorm Schlafengehen: Man liest ihnen vor! Wortwörtlich tragen Professoren vor, was eigentlich den Weg vom Buch in die Köpfe der Kommilitonen finden soll. Die Studierenden wenden sich ab – die tägliche innere Emigration im Hörsaal.
Glaubt man Bildungsminister Jürgen Rüttgers (CDU), soll die Misere bald ein Ende haben. Bei der Nominierung eines neuen Professors sollen die Berufungskommissionen künftig die Lehrbefähigung stärker gewichten. Über Platz eins oder zwei auf einer Bewerberliste soll nicht mehr allein die Zahl der Publikationen entscheiden: Künftig sei der gute Lehrer gefragt.
Doch schon die Formulierung im neuen Hochschulrahmengesetz (HRG) läßt nichts Gutes hoffen. Der Esprit des neuen HRG erschöpft sich im Weglassen. Die pädagogische Eignung eines Kandidaten, so will es das alte, noch gültige HRG, konnte bislang „durch Erfahrungen in der Lehre“ nachgewiesen werden. Künftig geht das nicht mehr. Die Länder können nun stichhaltigere Beweise für Lehrkompetenz abfordern – formale Belege didaktischer Kompetenz etwa oder mehr Aufmerksamkeit auf den Berufungsvortrag.
„Einen halbstündigen Vortrag zu halten ist aber etwas ganz anderes, als Studierende ein ganzes Semester hindurch zu fesseln“, weiß Margret Bühlow-Schramm. Die Soziologin widmet sich am Hamburger Interdisziplinären Zentrum für Hochschuldidaktik (IZHD) seit 25 Jahren den wichtigsten Fragen, die sich ein guter Lehrer stellen sollte: Was sollen die Studierenden lernen? Paßt mein Vortrag ins Lehrprogramm? Wo muß ich die Studierenden abholen?
Die Erfahrungen der 53jährigen sind ernüchternd. Das IZHD in Hamburg wirkt klandestin. „Wer zu uns kommt“, berichtet Bühlow-Schramm, „macht das heimlich.“ Der Nachhilfeunterricht in Didaktik gilt immer noch als Eingeständnis von Inkompetenz. Richtig Aufsehen erregte das IZHD eigentlich nur einmal – 1987, als es geschlossen werden sollte. Das Institut überlebte, wenn auch stark geschrumpft.
Dabei kann gerade die Hochschuldidaktik die wesentlichen Nachteile des Lehralltags aufzeigen. Professoren, die vor dem Seminar stehen, registrieren nicht mehr, welche Wirkung sie haben. „Die Studenten sind unsichtbar geworden“, weiß Bühlow-Schramm. Manche Lehrende bilden sogar autistische Züge aus. Fehlt dann noch ein durchdachtes Konzept, kommt es zum Hörsaal-GAU: Der Professor nimmt plötzlich wahr, daß er nicht rüberkommt – Hektik und Nervosität verstopfen endgültig den Kanal zwischen Lehrenden und Lernenden.
Dietrich Budäus, eine Koryphäe für Öffentliche Finanzen, hat sein Waterloo vor den Studierenden erlebt. Zwei Drittel seines Seminars schmiß 1994 eine Prüfung. Statt über die Unfähigkeit seiner Studierenden zu lamentieren, setzte sich der Volkswirtschaftler selbst auf die Schulbank. Er belegte bei den Hochschuldidaktikern ein Seminar. Und entdeckte auf dem Video seiner Vorlesung: „Da meldet sich eine Studentin stundenlang, ich sehe sie nicht, und langsam wird ihr Finger immer kleiner.“ Dem abzuhelfen wird allerdings auch in Zukunft nur auf freiwilliger Basis möglich sein. Anders als es der Bildungsminister glauben machen will, gibt es gegen schlechte Hochschullehrer kein Rezept. Rauswerfen geht nicht, weil Professoren Beamte sind: eine Gehaltskürzung kommt deshalb nicht in Frage; und rechtlich gibt es kein Mittel, didaktisch Unbegabte zurück auf die Schulbank zu schicken.
Was in den USA obligatorisch ist – die Lehre wichtig zu nehmen und das Gehalt von ihr abhängig zu machen –, scheitert hierzulande am Dienstrecht. Selbst Professoren wie der Münsteraner Politologe Wichard Woyke räumen ein, „daß 80 bis 90 Prozent unserer Hochschulprobleme mit dem Beamtentum zusammenhängen“. Der studentische Dachverband fzs entzieht daher in seinem Entwurf für ein neues HRG den Professoren ihren Beamtenstatus. Dann könnten die bislang kaum beachteten Evaluierungen („Bewertungen“) der Lehre endlich Folgen haben.
Wie zahnlos solche Prüfungen sind, zeigt ein Beispiel von der renommierten Hochschule für Verwaltungswissenschaften in Speyer. Ein Lehrbeauftragter stand dort im Mittelpunkt gleich zweier Hochschulkommissionen. In der Lehrplankommission galt der Mittdreißiger als heikler Fall. Er hatte bei der Evaluierung fast ausnahmslos schlechte Noten eingeheimst. Die jungen Verwaltungswissenschaftler attestierten ihm zwar Kompetenz – empfanden aber die Atmosphäre im Seminar und bei der Betreuung als mies.
Die Lehrplaner erwogen, ihm keinen weiteren Lehrauftrag zu erteilen. Die Entscheidung jedoch wurde ihnen von der Berufungskommission im gleichen Hause abgenommen. Mit seiner eindrucksvollen Publikationsliste hatte der Mann als Kandidat für einen C 4-Lehrstuhl angeklopft – und landete trotz erwiesener Lehrschwäche: auf Platz eins der Berufungsliste.s
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