: Deutsche Nostalgie voll lüsterner Blicke
■ »Außer Kontrolle« — Ein Schwank von Ray Cooney in der Komödie am Kurfürstendamm
Ein roter Teppich ziert den Bürgersteig vor dem Theater, Neugierige stehen Spalier und werfen lüsterne Blicke auf diesen Laufsteg der Prominenz. Zweifellos ist das der Sinn des Abends — die Beschauung alternder Berühmtheiten — denn wäre es nicht unverzeihliche Bosheit, dem Publikum zu unterstellen, sein Lachen sei nicht ausschließlich eine Geste der Achtung vor dem schönen Horst Buchholz? Der spielt sichtlich gelangweilt, man kann es ihm nicht verübeln: Außer Kontrolle von Ray Cooney gleicht auf unerträglich fade Weise anderen Schwänken dieser Art.
Staatsminister Richard Willey wird vom Pech arg verfolgt. Eben noch war er sich einer aufregenden Nacht mit der attraktiven Sekretärin der Opposition gewiß, doch schon im nächsten Moment findet sich eine Leiche in seinem Hotelzimmer, die für ein heilloses Chaos sorgt. Weder Willeys Ehefrau noch die politische Öffentlichkeit dürfen erfahren, wo und mit wem er die Nacht verbringen wollte. Der Tote muß an einen anderen Ort geschafft werden. Das aber ist gar nicht so einfach, denn es tauchen nun abwechselnd geldgierige Kellner, aufdringliche Hotelbesitzer und eifersüchtige Ehegatten auf, und auch die Leiche, die in Wirklichkeit ein bewußtloser Detektiv ist, erweist sich als sehr lebendig. Namen werden in den Raum geschmissen, Namen werden vertauscht, ein altbekanntes Muster zeichnet sich ab, die Verwirrung auf der Bühne nimmt zu.
Die Schelme: sie werfen mit kleinen, mutigen Wortspielen über Sexualität und Politik um sich. Alles im Rahmen des guten Geschmacks, niemandes ethische Gefühle sollen verletzt werden. Die Harmlosigkeit des Stücks wirkt geradezu lächerlich künstlich im Zeitalter der Pornographie, in der die Wahrheit an Schwärze nicht mehr zu übertreffen ist.
Und doch sind die Zuschauer erstaunlicherweise nicht ermüdet, man sieht zurückgeworfene Köpfe und ehrlich belustigte Gesichter. Sollte das die sprichwörtliche Nostalgie der Deutschen sein?: »Mein Gott, was war der Buchholz früher für ein herrlicher Mann!«
Wie auch immer das Erfolgsrezept der »Komödie am Kurfürstendamm« lauten mag, der Zuschauerraum ist voll. Irene Brie
Nächste Vorstellung: heute 20 Uhr in der Komödie am Kurfürstendamm
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