: Deutsche Betten, gut ausgelüftet
Ohne gewisse Umstände (die „Erfindung“ und Markteinführung der „Pille“) sowie zwei ProtagonistInnen, die sich ständig mit sittenbewussten deutschen Staatsanwaltschaften und Indizierungsstellen herumzuschlagen hatten, wäre die Achtundsechzigerbewegung vermutlich ein recht trockenes Unternehmen geworden: Beate Uhse und Oswalt Kolle vor allem befreiten das Personal in deutschen Schlafzimmern vom Glauben, Sex sei vornehmlich eine Angelegenheit der Fortpflanzung.
Uhse (Jahrgang 1919) und Kolle (Jahrgang 1928) hatten durch ihre Jobs die Finger am Puls der Zeit: die Flensburger Unternehmerin, die mit ihrem Versandhandel „für Ehehygiene“ (so hieß das offiziell kurz nach dem Ende der Nazizeit) herausfand, welch handwerklicher und seelischer Kummer in deutschen Ehen herrscht; der Journalist, der seine ersten Jahre im Boulevardgeschäft verbrachte (Bild, BZ, Star-Revue) und lernte, nach welchem Lesestoff dem Publikum wirklich der Sinn stand – Sex und Erotik, also nach allem, was den Alltag wirklich rätselhaft macht.
Kolle publizierte in der Frankfurter Illustrierten, später in der Quick seit Beginn der Sechzigerjahre eine Reihe von Serien mit Überschriften wie „Dein Kind, das unbekannte Wesen“ oder „Dein Mann, das unbekannte Wesen“ oder „Deine Frau, das unbekannte Wesen“. Schockierend für die Nation: Da sprach einer aus, was die meisten Frauen sich nie zu sagen getraut hatten: Die Männer arbeiten am Geschlecht – ohne auf die Lustbedürfnisse von Frauen einzugehen.
Seine Texte (und späteren Filme, deren überarbeitete Fassungen noch vor zehn Jahren auf RTL mehr als jeweils vier Millionen Zuschauer anzogen) kamen einer Wahrnehmungsrevolution gleich: Sex war offenkundig doch nicht so einfach, wie die russische Revolutionärin Alexandra Kollontai behauptet hatte – so simpel, als trinke man ein Glas Wasser. Kolle konfrontierte ein (zumeist männliches) Publikum mit der Tatsache, dass dessen Dreiminutengewohnheiten ihren Geliebten keine Lust bereitet.
Von der Studentenbewegung (und Feministinnen) wurde der in Amsterdam lebende Volksaufklärer hart kritisiert: Er sei ein Agent des Kapitalismus, der nur bessere Techniken vorschlage, darüber hinaus ein Mann, der das Patriarchat nicht einem Generalverdacht unterziehe. Autoren wie Günter Amendt („Sexfront“) beförderten diese alles politisierende Sicht der Dinge – freilich auf ganz undialektisch durchdachte Art – sehr.
Kolle focht die Verve der Verdammung seiner Bemühungen um die Auslüftung deutscher Schlafzimmer im Übrigen sehr an, denn er fühlte sich stets auf Seiten der Aufrührerischen. Im Gegenzug wies er Alltagsslogans wie „Wer zweimal mit derselben pennt, gehört schon zum Establishment“ als inhuman und seelenlos zurück.
Der Psychiatersohn, der nach einer Ausbildung zum Landwirtschaftsgehilfen zu schreiben begann, war mit Marlies Duisberg von 1953 bis zu ihrem Tod im September 2000 verheiratet.
1997 veröffentlichte er (als jüngstes seiner bislang etwa zwei Dutzend Bücher) ein freundliches Werk über den Irrtum, alte Menschen hätten keine sexuellen Interessen mehr: „Die Liebe altert nicht – Erfüllte Sexualität ein ganzes Leben lang“. Der Titel ist nur noch antiquarisch erhältlich. JAF
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