Deutsch-türkische Oper: "Gegen die Wand"

Die große Emotion bleibt, der Realismus weicht Metaphern: Neco Çelik inszeniert in Stuttgart die Oper "Gegen die Wand", komponiert von Ludger Vollmer.

Tereza Chynavova als Sibel (l) und Ipca Ramanovic als Cahit (r) bei einer Probe der Oper "Gegen die Wand" in Stuttgart. Bild: dpa

Ein Fensterquadrat ist auf die weißen Vorhänge projiziert, mit einem idyllischen Blick nach draußen: Ein Hase hoppelt possierlich durch eine grüne Parklandschaft. Doch lautes Flaschenklirren und ein zuerst nur schemenhaft zu erkennender weiß gekachelter Raum mit Gittern lassen bereits erahnen, dass die Idylle des Auftakt in der Oper "Gegen die Wand" trügt.

Nachdem die Stoffraumteiler heruntergerissen worden sind, sehen wir den Bier in sich hineinschüttenden Cahit (der Bariton Ipca Ramanovic), den ein Breakdancer (Sebastian Petrascu) begleitet, als seine sich im Tanz äußernde innere Stimme. Sibel, dargestellt von der Mezzosopranistin Tereza Chynavová, ist mit einer Hundeleine an den Vater gekettet, ebenso wie die Mutter und ihr Bruder Yilmaz (der Tenor Svetislav Stojanovic). Der Hase aus dem Film liegt tot im Gras.

Mit solch drastischen, dann wieder auch poetischen Metaphern arbeitet der Berliner Regisseur Neco Çelik in seiner Inszenierung von Ludger Vollmers Oper "Gegen die Wand", die Fatih Akins gleichnamigen preisgekrönten Film als Vorlage hat. Der 38-jährige Çelik ist Deutschtürke wie sein Regisseurskollege Akin und er hat das Leben in migrantischen Gesellschaften schon in vielen Arbeiten für die Bühne, das Kino, Blogs und das Fernsehen thematisiert, unter anderem mit den "Schwarzen Jungfrauen" nach einem Text von Zaimoglu. Das muss kein Garant für eine gute Inszenierung sein, an der Staatsoper Stuttgart aber überzeugt sein Zugriff.

Macht der Gefühle

Akins Film weist zwar durchaus eine gewisse Verwandtschaft mit dem Operngenre auf, weil er nicht vor großem Drama und Emotion zurückschreckt. Trotzdem kann man sich mit dem Film im Hinterkopf erst einmal schwer vorstellen, wie der manchmal fast schmerzhaft intensive Realismus der Kinobilder Fatih Akins auf der Theaterbühne eine adäquate Umsetzung finden könnte. Neco Çelik führt den Filmrealismus in die Abstraktion des Musiktheaters über, ohne dass die Emotionalität und Eindringlichkeit der berührenden Geschichte zweier Außenseiter an Intensität verliert. Cahit und Sibel sind vom Balanceakt eines Lebens zwischen den Kulturen innerlich beschädigt, über die Liebe finden sie ein Stück weit zu sich selbst und können dann doch diese Liebe nicht leben.

Ein in die Szene eingebundener, sehr präsent agierender Chor aus dreißig Jugendlichen stellt das gesellschaftliche Umfeld von Familie bis Clubbesucher dar, verstärkt durch Chorgesang einzelne Figuren und kommentiert die Handlung. Das ergänzt die mehr abstrakten Regiemittel wie die zeichenhaften Metaphern durch eine kraftvolle, direkt emotionale Ebene, ebenso wie der Tanz. Sonia Santiago, eine ehemalige Ballerina des Stuttgarter Balletts, interpretiert tänzerisch das Alter Ego von Sibel; der junge Laientänzer Onur Yildirim verkörpert das Kind, das Sibel bekommt, als sie in ein neues Leben ohne Cahit nach Istanbul geflüchtet ist.

Allgemeingültigkeit

Der eigentliche Emotionsträger im Musiktheater ist jedoch die Musik. Ludger Vollmer hat für dieses erste deutsch-türkische Werk in der Opernhistorie, das 2008 in Bremen uraufgeführt wurde, eine sehr farbenreiche, klassische europäische und orientalische Musiktraditionen amalgamierende, auch Jazz und Avantgarde einbindende Musik komponiert. Türkische Streich-, Schlag-, Blas- und Zupfinstrumente geben dabei dem Orchesterklang eine ganz spezifische Note. Das von Bernhard Epstein geleitete Projekt-Orchester der Jungen Oper spielt hervorragend; die sieben Sänger in den Hauptrollen sind sängerisch wie schauspielerisch wunderbar.

Anders als im Film wird die konkrete Beschreibung von gesellschaftlichen Gegebenheiten in der Oper nur gestreift: das in den Traditionen verhaftete Elternhaus von Sibel etwa, die Doppelmoral und latente Frauenfeindlichkeit der Männer - nicht nur der türkischen - oder die Begegnung von Sibel und Cahit mit dem Land ihrer Eltern. Das könnte das Musiktheater auch nur unzulänglich leisten.

Die Oper "Gegen die Wand" konzentriert sich auf die innere Geschichte der beiden Hauptfiguren, erzählt sie allgemeingültiger und weniger an ein bestimmtes gesellschaftliches oder kulturelles Umfeld gebunden. Das jedoch tut sie in Neco Çeliks Inszenierung so berührend, dass es unter die Haut geht. Und obwohl sich der Abend in der Programmschiene Junge Oper in erster Linie an ein jugendliches Publikum richtet, was manchen vielleicht - allerdings zu Unrecht - auf einen weniger hohen künstlerischen Anspruch der Produktion schließen lassen mag, ist es ein großer Opernabend.

Staatsoper Stuttgart: "Gegen die Wand"; nächste Aufführungen: 17., 19., 23., 24. und 26. Juni 2010

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