Deutsch-türkische Kampfkünstlerin: Der ultimative Kick
Die erst 18-jährige Taekwondo-Kämpferin Sümeyye Gülec will in Peking eine Goldmedaille holen - und ist jetzt schon Rollenvorbild für deutsch-türkische Mädchen.
Hier in der Findelwiesenstraße im Treppenhaus eines Hinterhofes kann man sie schon hören. Sümeyye Gülec ist gerade damit beschäftigt, einen kleinen Jungen zusammenzufalten. "Warum lachst du?", ruft sie. "Nicht lachen!", schreit Gülec. Der Junge erschrickt. Alles ernst? Nicht ganz. Die Andeutung eines Lächelns umspielt Sümeyye Gülec Mundwinkel.
Nicht lachen! Das gilt für die 30 jungen Taekwondo-Kämpferinnen und -Kämpfer, die da dicht auf dem mattierten Boden hocken. "Nicht lachen!" ist ein Ausdruck für die Disziplin, die jeder mitbringen muss, wenn er bei dieser Übungsstunde mitmachen will. Zum Schluss des Trainings nimmt Sümeyye Gülec den kleinen Jungen aber besonders liebevoll in den Arm. Später lächelt Gülec unentwegt. "Ich glaube, die wollen, dass ich sie anschreie", sagt sie. Mit ihr ist man damals, als sie angefangen hat, auch nicht zimperlich umgegangen. Der Nachwuchs will vermutlich von ihr trainiert werden, weil sie es zu etwas gebracht hat. Weil sie, Sümeyye Gülec, den Sprung geschafft hat aus der Nürnberger Südstadt zu den Olympischen Spielen in Peking. Özer Gülec, 4. Dan im Taekwondo, hat festgestellt, dass vor allem die Mädchen wegen ihr kommen. "Sümeyye ist ihr Vorbild, sie wollen nicht ins Ballett gehen, sie wollen so kämpfen wie Sümeyye", sagt der 42-Jährige.
Özer Gülec kennt Sümeyye gut. Sie ist seine Nichte. Während ihrer Geburt saß er mit seinem Bruder Niyazi zusammen und sagte ihm, dass da eine neue Taekwondo-Kämpferin zur Welt gekommen sei. Fünf Jahre später bestritt sie ihren ersten Wettkampf. Mittlerweile wiegt sie immerhin 45 Kilo. "Bei den Kopftreffern ist sie ganz stark und bei den Drehkicks", sagt er, "obwohl bei den Drehkicks könnte sie noch etwas mehr Selbstvertrauen haben." Wichtiger ist der Blickkontakt."Sie hat mir mal gesagt", erzählt Özer Gülec, "dass sie keine Motivation und keine Kraft mehr hat, wenn sie das Onkelauge nicht sieht." Bei einem Wettkampf in den USA war sie mal alleine und versagte völlig. Deshalb wird Onkel Özer dabei sein, wenn sie am 20. August in Peking kämpft. Um Medaillen? "Deshalb fliegen wir nach China", sagt Gülec, "bei der Olympiaqualifikation hat sie die dreifache Weltmeisterin besiegt." Ihr Vater Niyazi Gülec erklärt: "Wir hoffen alle, dass sie bei Olympia den ersten Platz schafft. Das wäre ein Sieg für die Ewigkeit, für unsere Sportschule, für Nürnberg, für Deutschland, für das Taekwondo." Aber er betont, dass er keine Belohnung für die Goldmedaille ausgesetzt hat. "Da würde sie sich zu sehr unter Druck fühlen." Und außerdem habe er dafür kein Geld. 2.000 bis 3.000 Euro koste ihn der Sport. Pro Jahr. Und pro Kind. Tahir (15), Rabia (14) und Malik (8) gelten als ähnlich talentiert wie die große Schwester. Und als Schichtarbeiter in einem Nürnberger Druckgusswerk verdient er nicht viel.
Warum seine Tochter nicht für die Türkei startet? "Sie ist hier geboren und aufgewachsen", sagt Niyazi Gülec. Seine Tochter sieht die Sache nüchterner: "Hier in Deutschland sind wir die Türken, in der Türkei sind wir es nicht mehr. Ich betrachte mich als einen deutsch-türkischen Mix." Als Deutsche hat sie einen Platz als Obergefreite in der Sportfördergruppe der Bundeswehr bekommen, wo sie unter Profibedingungen trainieren kann.
Aber ein Vorurteil muss da noch ausgeräumt werden. Muslimische Frauen und Kampfsport? "Wir haben hier ganz viele Moslems im Verein, inzwischen sind es mehr Mädchen und junge Frauen als Jungs und Männer", sagte Sümeyye Gülec. "Taekwondo", erläutert Özer Gülec, "ist auch mit Kopftuch möglich und von den internationalen Regeln her ausdrücklich erlaubt." Das klingt einfach. Auffällig ist aber, das die ältesten der Mädchen, die hier in der Findelwiesenstraße trainieren, nicht älter sind als Sümeyye Gülec. Erwachsene Sportlerinnen sind nicht zu sehen. Gülec lässt ihren Fuß in die Höhe schnellen, knallt ihn mit ordentlicher Wucht ihrem Trainingspartner vor den Brustpanzer. Für die 18-Jährige bringt dieser Sport den ultimativen Kick. Und in Peking die Chance, ganz groß rauszukommen.
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