Detlef Diederichsen Böse Musik: Sind Bandnamen vererbbar?
Über eine Schlagzeile gestolpert: „Four-Tops-Sänger verklagt Krankenhaus“. Gedacht: Ist Levi Stubbs wiederauferstanden? Nein, ein gewisser Alexander Morris kam mit Atembeschwerden in die Notaufnahme des „Ascension Macomb Oakland“ Krankenhauses in Detroit und wurde in eine Zwangsjacke gesteckt, weil er behauptet hatte, Leadsänger der Four Tops zu sein. Peinlich: Herr Morris ist seit 2018 Leadsänger der Four Tops, wo er neben dem letzten lebenden Originalmitglied, Abdul „Duke“ Fakir (mittlerweile auch schon 88) und dem Sohn von Originalmitglied Lawrence Payton (und einem vierten Top) die ruhmreiche Geschichte der Soulpioniere fortführt. Für mich genau wie das Krankenhauspersonal gilt: Wusste ich nicht.
Wie den Investor*innen unter den Leser*innen bekannt ist, kann man ja da draußen auch leere AG-Hüllen oder andere inaktive Gesellschaften kaufen und kurzerhand einem neuen Unternehmenszweck zuführen. Oder, wie anscheinend im Falle der Four Tops: den alten Gesellschaftszweck mit neuem Personal fortführen lassen.
Das ist eigentlich kein wirklich innovatives Modell, wenn man bedenkt, dass sich auch das Glenn Miller Orchestra, Duke Ellington & His Orchestra oder Sun Ra & The Arkestra zum Zeitpunkt der Niederschrift dieser Zeilen auf Konzertreise befinden, obwohl ihre Namensgeber teilweise seit Jahrzehnten schon unter der Erde liegen.
Über eine weitere Schlagzeile gestolpert: „Söhne von John Lennon und Paul McCartney veröffentlichen einen Song“. Er heißt „Primrose Hill“, ist im erwartbaren Sixties-Sound gehalten, etwas unspektakulär und seit April verfügbar. Gefragt, ob sie sich Beatles nennen dürfen, wenn sie Dhani Harrison und Zak Starkey dazunehmen. Sind Bandnamen erblich?
In den 1970er Jahren konnten sich Roger McGuinn, Gene Clark und Chris Hillman, die prägenden Mitglieder der Byrds, nicht The Byrds nennen, weil sich ihr Bandkollege, der Schlagzeuger Michael Clarke, die Namensrechte gesichert hatte. Man kann auch aus seiner eigenen Band herausgeklagt werden, wie es Brian Wilson mit den Beach Boys passierte. Mittlerweile wurde er entmündigt – übernehmen jetzt seine Adoptivkinder, fünf an der Zahl? Matt Jardine, Sohn von Beach Boy Al Jardine, tourte schon in den 1990er Jahren mit der Band (für die hohen Gesangsparts).
Detlef Diederichsen, Journalist und Musiker, lebt in Hamburg.
Über einen Stapel Mojo-Magazine-Ausgaben gestolpert und beim Durchblättern von hinten nach vorne schnell an den Konzertanzeigen hängen geblieben: The Bootleg Beatles, The Doors Alive, Clearwarter Creedence Revival, The Smyths (Vorprogramm: Billy Blagg) … Alle touren durch große Arenen. Wir reden hier nicht mehr nur über Fanbands, die Gleichgesinnte beglücken, sondern von Monster-Revival-Produktionen, in denen längst vergangene Tourneen detailgetreu reenactet werden. Etwas heraus fällt aus dem Schema: Elvana – „Elvis fronted Nirvana“. Unterwegs seit 2018 und „bafflingly brilliant“, fand zumindest der Guardian.
Was wäre, wenn …? Bandnamen an der Börse gehandelt werden. Elon Musk sich die Rechte an dem Namen Nirvana sichert und pro Jahr 1.000 neue Nirvana-Alben produzieren lässt. Dr. Faustenstein Bands miteinander morpht. Lennon mit McCartney morpht. Das erste Album von Lennon McCartney ist echt gut! Oder die Enkel der Beatles erben den Namen, veröffentlichen neue Musik und am Ende herrscht Konsens, dass die Beatles ihre beste Phase zwischen den Jahren 2088 und 2107 hatten. Oder ein Wettbewerb: Zweimal im Jahr bewerben sich Talente um einen Platz in der neuen Nirvana-, Beatles, Abba- oder Kettcar-Besetzung. Sei auch du dabei! Oder spar schon mal Geld, um dir noch Tickets für die Konzerte von Kanye Swift …
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen