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Archiv-Artikel

Destruktive Handlungen

betr.: „Mehr Tote durch Suizid als durch Kriege“, „Der Feind sitzt in der Seele“, taz vom 24. 6. 03

Die WHO hat schon in den 50er-Jahren alarmierende Statistiken über Selbstmorde und Morde veröffentlicht, allerdings nur aus Europa, USA und Australien. Über Alkoholismus gibt es sogar aus den 40er-Jahren schon Zahlenmaterial. Die Daten zeigten schon damals, dass es signifikante Unterschiede zwischen den einzelnen Ländern gibt.

Üblicherweise findet man, dass die ärmsten Länder die niedrigsten Selbstmordraten haben, während mit wachsendem materiellen Wohlstand die Zahl der Selbstmorde und der Alkoholismus zunimmt.

Wir können Selbstmord, Mord und Drogenkonsum als destruktive Handlungen klassifizieren. Erich Fromm war einer der Ersten, der in der starken Häufigkeit der Selbstmordrate und des Alkoholismus einen Hinweis auf die mangelhafte seelische Gesundheit einer Bevölkerung sah. Die Länder, die beim Streben nach Wohlstand, Demokratie und Frieden scheinbar die größten Fortschritte gemacht haben, zeigen die stärksten Anzeichen von psychischer Labilität. Der Mensch lebt nicht vom Brot allein. Er kompensiert seine unerfüllten Bedürfnisse durch pathologisches destruktives Handeln. ANDREAS PAHL, Weilerswist

Wenn es überhaupt ein universelles Menschenrecht gibt, das weltweit unverzichtbar ist, dann das, dem eigenen Leben nach eigener Entscheidung ein Ende zu setzen. Man mag unterschiedlich darüber urteilen, aber die Freiheit zur Selbsttötung gehört meines Erachtens zu den Fundamenten menschlicher Existenz.

Sehr wohl ist mir bewusst, wie vielfältig die Motive für Selbsttötung sind. Viele dieser Motive unterliegen einem äußeren Zwang. Solange es Gesellschaftsordnungen gibt, in denen das menschliche Leben von Ausbeutung, Armut oder ökonomischem Terror bedroht ist – und das sind derzeit die allermeisten Gesellschaften dieser Welt – ist für viele Menschen die Option das eigene Leben zu beenden, die einzig erkennbare Perspektive einen unerträglichen Druck zu beenden.

Wenn Selbsttötung so oft – wie von der WHO dargestellt – vollzogen wird, verweist das auf die dramatischen Folgen einer von westlichen Ideologien und Praktiken beherrschten Welt. Der Feind sitzt nicht – nur – in der Seele; er sitzt sehr oft in lebensbedrohlichen Zuständen. HELMUT M. SELZER, Pappenheim

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