Desaster nach 10 Jahren Schuldenkrise

■ Mit 1.530 Milliarden Dollar stehen die Entwicklungsländer in der Kreide — eine Lösung ist nicht in Sicht

Frankfurt/Main (epd/taz) — Vor zehn Jahren schreckte Jesus Silva Herzog die internationale Finanzwelt auf. Im August 1982 hatte der damalige Finanzminister Mexikos erklärt, sein Land könne die Zinsen und Tilgungsraten auf die Auslandsschulden von rund 85 Milliarden US- Dollar nicht mehr bezahlen. Mexiko löste mit dem Eingeständnis seiner Zahlungsprobleme eine regelrechte Lawine aus: Brasilien, Argentinien und Chile, aber auch Länder wie Polen, Zaire, Indonesien und Südkorea folgten dem Beispiel Mexikos und erklärten sich ebenfalls als zahlungsunfähig. Auf rund 700 Milliarden Dollar hatte sich damals der gesamte Schuldenberg der Entwicklungsländer aufgetürmt; pro Jahr waren Zins- und Tilgungsleistungen von über 130 Milliarden Dollar fällig.

Bis heute hat sich an der horrenden Verschuldung dieser Länder bei ihren westlichen Gläubigern nichts geändert. Im Gegenteil: bis Ende dieses Jahres werden die Schulden der Dritten Welt auf insgesamt 1.530 Milliarden Dollar steigen, so schätzt der Internationale Währungsfonds (IWF). Und während die Länder weiter in den Ruin treiben, spielen deren Probleme für die reichen Industrienationen nach wie vor nur eine Nebenrolle. Kirchen und Dritte- Welt-Organisationen im Norden verlangen seit Jahren einen generellen Schuldenerlaß — Gehör gefunden haben sie mit ihren Appellen kaum.

Die Schuldenkrise kam nicht über Nacht: Ende der 70er Jahre liehen die Banken in den Industriestaaten den Entwicklungsländern hohe Summen aus, ohne große Prüfungen vorzunehmen. Von 1978 bis 1982 stiegen allein die Kredite Mexikos von 20 auf 59 Milliarden Dollar, die Brasiliens von 18 auf 45 Milliarden Dollar — jeweils zu veränderlichen Zinssätzen. Das Verhängnis nahm seinen Lauf, als Anfang der 80er Jahre die Zinsen in die Höhe schossen. Der Preisverfall bei Rohstoffen, den wichtigsten Exportgütern der meisten Entwicklungsländer, verschärfte die Lage noch.

Trotz lauter Klagen über die Zahlungsrückstände der Schuldnerländer fanden weder die Banken noch der IWF ein Rezept, die Krise zu bewältigen. Mit immer neuen Krediten wurde einige Ländern von ihrer akuten Zahlungsnot befreit. Diesen war damit aber keineswegs geholfen: Die Schuldenberge türmten sich zusehens auf, während die Rohstoffpreise weiter abrutschten. Bis Ende 1991 häufte sich laut IWF eine Schuldenlast von 1.490 Milliarden Dollar an, mit Brasilien, Mexiko und Indien an der Spitze.

Erst der Plan des US-Finanzministers Nicholas Brady zeigte im März 1989 Lösungsansätze. Durch Tausch alter Kredite in neue, günstigere Anleihen sollte den Schuldnerländern ein Teil ihrer Bürde genommen werden. Mexiko kam Anfang 1990 als erstes Land in den „Genuß“ des Brady-Plans. Bis heute einigten sich Venezuela, die Philippinen, Costa Rica, Uruguay, Nigeria, Argentinien und Brasilien mit den Banken auf ähnliche Abkommen. Der Schuldennachlaß ist freilich begrenzt, das Volumen übersteigt kaum 30 Milliarden Dollar. Erst im vergangenen Jahr einigten sich die staatlichen Gläubiger mit den sogenannten „Trinidad Terms“ darauf, den allerärmsten Ländern einen Schuldenerlaß von bis zu 50Prozent zu gewähren. Doch von den 72 Ländern, die grundsätzlich dafür in Betracht kommen, haben bisher nur Benin, Bolivien, Nicaragua und Tansania profitieren können. Eine generelle Entschuldung steht für die Gläubiger nach wie vor nicht zur Debatte.

Der rigide Kurs der Gläubiger hat die Misere in einigen Schuldnerländern noch verstärkt. Banken und Regierungen machten bei einem Schuldennachlaß harte IWF-Sanierungsprogramme für die Wirtschaft der hochverschuldeten Länder zur Auflage, obwohl Zins und Tilgung dort über 20Prozent der Exporteinnahmen verschlangen. Die Bürde für die armen Länder in Afrika und Lateinamerika wuchs somit weiter, denn gespart wurde vor allem bei den Sozialausgaben. Unruhen wie in Venzuela, aber auch die 1991 in Peru ausgebrochene Cholera-Epidemie, sind mit auf diese Sparprogramme zurückzuführen. Auch die Umwelt hat darunter zu leiden: Um die Deviseneinnahmen zu steigern, werden etwa Tropenhölzer geschlagen und Wälder für den Anbau von Exportfrüchten gerodet.

Für deutsche Banken ist die ganze Schuldenkrise trotzdem kein Problem mehr. Den Wert ihrer Forderungen haben sie in ihren Bilanzen um 60Prozent, die Deutsche Bank sogar um 84Prozent bereinigt. Das Risiko ist somit klein, die Steuervorteile aber groß: 14 Milliarden Mark hätten deutsche Banken durch die Abschreibungen seit 1982 gespart, schätzt die Dritte-Welt-Initiative Germanwatch. Für Hilmar Kopper, Chef der Deutschen Bank, ist das Thema Länderrisiken „abgehakt“.

Die Regierungen der Industrieländer verhalten sich kaum besser. Zwar werden Schulden gestrichen, gestundet und umgeschichtet sowie auf eine diversifizierte Exportstruktur gedrängt, aber zu einer echten Liberalisierung des Welthandels oder der Zahlung fairer Rohstoffpreise ist man nicht bereit. Angesichts der Schuldengebirge ist die Entwicklungshilfe weniger als ein Tropfen auf den heißen Stein: Pro Jahr überweist der Süden immer noch 50 Milliarden Dollar mehr an den Norden als er von dort erhält. es