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DerWelsistnicht genug

Wenn die Weltlage drückt, braucht es Fluchten ins Absurde. Eine Liebeserklärung an die besten Sommerloch-Tiere der letzten 30 Jahre

Illustration: Tschanz-Hoffmann/imago (4), Gemini Collection/imago (3), imageBROKER/imago, yay images images/imago, Montage: taz

Sommeranfang lässt sich nicht kalendarisch, nicht meteorologisch bemessen. Sommer ist das Gefühl, wenn das Leben für einen Augenblick wieder leicht wird, wenn gestern nicht zählt, morgen erst recht nicht. Doch wie abschalten, während auf dem Bildschirm eine Krisenmeldung nach der nächsten aufleuchtet?

Darf man kurz durchatmen zwischen all den negativen Schlagzeilen? Man darf. Es kommt wie gerufen: das animalische Ablenkungsmanöver in Krisenzeiten. Zwei Meter lang, 90 Kilogramm schwer. Mein Wels in der Brandung. Seit Wochen trägt er mich wie auf Watte durchs Weltgeschehen.

Sommerloch-Tiere waren mal notdürftig aufgebauschte Medienereignisse aus Mangel an Alternativen, jetzt sind sie sehnsüchtig erwartete Verschnaufpause fürs Herz.

Man will sich reinlegen in eine Nachrichtenlage der Belanglosigkeit. Sich nostalgisch zurückversetzen in eine Zeit, in der das ganze Land durch nichts emotionalisierter war als durch Schwan Petra, der sich am Aasee hoffnungslos in ein Tretboot verliebte. In der die einzige giftige Debatte, die um eine ausgebüxte Monokel-Kobra in Herne war. Die „Laptop-Sau“ vom Teufelssee soll meinen als Nächstes klauen, mein Handy am besten gleich auch. Kurz den Stecker ziehen, das Gehirn durchlüften. Nachrichten über „Problembär Bruno“, „Schnappschildkröte Lotti“ und „Brillenkaiman Sammy“ fühlen sich an wie Meeresrauschen und Sonnencreme auf der Haut. Ich will einen ganzen Zoo voller Sommerloch-Tiere. Ich flüchte vor schlechten Nachrichten auf dem Rücken von Kuh Yvonne für 100 Tage in den Wald.

Wo ist der Liveticker zur Causa Killer-Wels, der Brennpunkt vom Brombachsee? Ich fordere lückenlose Aufklärung. War es Polizeigewalt? Notwehr? Ich brauche alle Informationen, mein Kopf muss voll sein. Fünf gebissene Badegäste. Drei Schüsse. Strafanzeige. 120 Filetportionen. Frisches Sommergemüse, Kräuterkartoffeln, Bärlauchsoße, 22,50 Euro. Lea Fiehler

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