Der zeozwei Wochenüberblick #7: Wo ist Neil Young?

Die Fünf-Minuten-Lektüre für Ökos und solche, die das eigentlich nie werden wollten.

Ist er es, oder ist er es nicht? Bild: dpa

Wir haben diverse Leserbeschwerden bekommen, weil wir auf dem Cover der aktuellen zeozwei - unserer Sonderausgabe zum UN-Klimagipfel in Paris Ende des Monats - neben Peter Sloterdijk, Ottmar Edenhofer, Jennifer Morgan oder Claudia Kemfert auch den Namen Neil Young auflisten.

„Auf dem Cover Neil Young als einen Beitragsautor anzukündigen, der im tatsächlichen Artikel nicht zu Wort kommt, finde ich frech”, schreibt „mit herzlichen Grüßen”, immerhin, Andreas N. „Wo ist Neil Young?”, mailt uns kurz angebunden Jörg K.

„Auf dem Cover Neil Young als einen Beitragsautor anzukündigen, der im tatsächlichen Artikel nicht zu Wort kommt, finde ich frech”

Das gibt den grundsätzlichen Beschwerdetenor wider: Wenn man im Heft zu Tanja Busses Artikel über das Pflanzengift Glyphosat und dessen Hersteller Monsanto nur den Auszug eines Songtextes aus Youngs jüngstem Album „The Monsanto Years” hat, dann ist es nicht statthaft, mit dem Namen des kanadisch-kalifornischen Rock-Helden auf den Titel zu gehen.

Erstens: Werbetäuschung. Und zweitens, das ist für die Neil-Young-Fans das wahre Problem: Es ist viel zu wenig Neil Young. Wir möchten uns bei allen entschuldigen, die das Paris-Heft nur gekauft haben, weil sie auf eine lange Story über oder von Neil Young hofften. Und bei allen Die Hard-Youngianern, die den Namen sahen, sofort glücklich waren und dann keine lange Story fanden.

Ich weiß selbst, wie sich das anfühlt, denn auch ich hoffe auch immer und überall auf lange Neil-Young-Geschichten. Ich möchte aber doch auch noch sagen, warum er auf unserem Titel steht und beginne mit etwas, das ich an anderer Stelle geschrieben habe.

„Neil Young ist im Sommer der Liebe als Hippie gestartet oder ist zumindest so verstanden worden. Er hat die Leute irritiert, als sie noch dachten, es gebe nur links oder rechts und sie könnten sich mit dem Hören der richtigen Songs abgrenzen und ästhetisch oder politisch auf der richtigen und sicheren Seite sein. Er hat den Rausch maximiert, den Musik geben kann. Und nun, wo alle nur noch spielen wollen oder lamentieren, sagt er eins zu eins was Sache ist.” Nämlich das:

„When corporate control takes over the American farm/ With fascist politicians and chemical giants walking arm in arm. Monsanto, Moooonnn-saaaannn-toooooooo/ let our farmers grow what they want to grow”.

Seine Sorge gilt nicht dem Frage, was Kunst darf, sondern den amerikanischen Farmern, den Leuten, die vergiftet werden und denen, die das Zeug essen müssen. Young verweigert sich hartnäckig einer aus seiner Sicht unpolitischen Gesellschaft, die ästhetische oder moralische Fragen theoretisch und bis aufs Blut diskutiert, aber sich der großen Frage verweigert, wie wir künftig leben wollen und können.

Und das Beste: Er macht es mit den Fähigkeiten des Neil Young. Oder wie mein zeozwei-Kollege Mathias Königschulte sagt: „Wir könnten ein ganzes Heft vollschreiben über die Verwicklungen politischer Akteure mit der Pflanzengiftlobby. Neil Young genügen ein paar Songzeilen.”

Er kann komplizierte Inhalte verdichten und emotional und kulturell so aufladen, dass sie viele Menschen jenseits der Ökoszene erreichen. Und er hat die menschliche Liebe und das Engagement als Grundbedingungen für ein glückendes Leben verbunden. Kann es da einen idealeren Autorennamen auf unserem Magazin geben? Ich denke nicht.

Am 12. November ist er 70 geworden.

Long may he run.

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Münster ist nicht nur die adrette Kulisse für den komödiantischen Börne-Thiel-„Tatort“ und den noch absurderen Wilsberg-„Krimi“. Münster ist die erste deutsche Stadt, die ihr Kapital auf Grünen- und SPD-Initiative aus den klimaschädlichen Industrien Kohle-, Gas- und Öl abzieht.

Münster ist nur eine von 2.060 Städten in Deutschland. Fehlen demnach noch 2.059.

„Deutschland ist vom Land des guten Willens und der Sehnsucht nach Veränderung zu einer Nation der intensiven öffentlichen Diskussionen über ethische Fragen und moralisches Selbstbewusstsein geworden.(...) Bis zum vergangenen Sommer war tatsächlich die Hoffnung lebendig, moralische Autorität an Stelle einer konturierten nationalen Außenpolitik treten zu lassen.“

 

Der Stanford-Intellektuelle Hans Ulrich Gumbrecht sieht 2015 das Ende des deutschen Selbstbildes der "moralischen Überlegenheit“ gekommen. Eine Zäsur wie zuletzt 1977 nach dem Deutschen Herbst. Und nun: Wer wollen und wer können wir sein? Das ist die große Frage.

1980 wurden die Grünen geboren und die Hebamme war Helmut Schmidt, der in dieser Woche verstorbene damalige SPD-Bundeskanzler. Er selbst hat das immer bestritten, mit dem Verweis, zu Zeiten seiner sozialliberalen Koalition seien die Grünen nicht in den Bundestag gelangt. Auch die Analyse, er habe nicht nur die Protagonisten der neuen Gedanken nicht ernst genommen, sondern die Ökologie einfach zu geringgeschätzt, teilte Schmidt selbstverständlich nicht. Durch den Einfluss seiner gärtnernden Frau, erzählte er mal in der Zeit, sei auch er „ein Grüner“ gewesen.

 

Aber: „Es ist eben ein ganz großer Unterschied, ob man idealistische Vorstellungen formuliert oder ob man das tut, was wirklich möglich ist, ohne der Volkswirtschaft unnötig zu schaden.“ Das steht in dieser zentralen Menschheitsfrage als sein letztes Wort.

17. November: „Das ist der Gipfel: COP 21 Paris – was steht auf der Agenda? “ Veranstaltungen von Germanwatch in Bonn und Berlin. Anmeldung und Infos gibt es hier.

 

Bis 28. November: Von Flensburg zur Klimakonferenz nach Paris. Auf dem Pilgerweg für Klimagerechtigkeit. Hier der neueste Stand.

 

That wraps it up for today. Until next week: Keep your feet on the ground and keep reaching for the stars.