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Der zeozwei Wochenüberblick #6 Ist der gute Mensch der böse?

Die Fünf-Minuten-Lektüre für Ökos und solche, die das eigentlich nie werden wollten.

Die verschwiegene Sylvie Meis? Bild: dpa

Jonathan Franzens großartiger Roman „Unschuld” (Rowohlt) wird häufig auf eine Mahnung vor dem digitalen Totalitarismus reduziert. Das Internet ist die neue Stasi. Zack. Das ist viel zu kurz. Das Buch hat diverse Ebenen, aber was mich seit Wochen um treibt, ist das darin verarbeitete Streben nach menschlicher Reinheit, nach „Purity”, wie der Roman im Original heißt.

Die Mutter der Hauptfigur lebt eine moralische Sauberkeitsobsession aus. Daher hat sie ein moralisch problematisches Milliardenerbe (globaler Lebensmittelkonzern) ausgeschlagen, lebt vegetarisch und ärmlich in einer Waldhütte in der Nähe von Santa Cruz, Kalifornien, und arbeitet im Biosupermarkt an der Kasse.

Sie hat ihrer Tochter den Namen „Purity” gegeben, und erst in diesem Moment, da ich da schreibe, wird mir klar, was für ein brutaler Terrorakt das war. Wer Franzen liest, versteht: Reinheit ist das Gegenteil von Menschlichkeit und auch das Gegenteil von Freiheit.

Die Leute, die Reinheit predigen, schaffen Totalitarismus. Wenn das Böse und die Repression, die im Kapitalismus durch einige wenige Individuen in die Welt kommt, durch das Gute, das sozialistische Kollektiv und die Freiheit ersetzt werden soll, ergibt das in der Realität wieder einige Böse, die alles aber noch rigider kontrollieren.

Der DDR-sozialisierte Andreas Wolf (Name ist nicht zufällig gewählt) mimt im Dschungel von Bolivien den Internetfreiheits-Che Guevara. In Wahrheit führt er ein Überwachungsregime, ist ein Mörder und hauptsächlich beschäftigt seine Groupies zu ficken und gegeneinander auszuspielen.

Puritys Mutter zerstört mit ihrer rigorosen Reinheit (kein Geld, kein Fleisch, kein Sex) ihr eigenes Leben und zu einem großen Teil auch die Leben derer, die sie liebt oder was sie unter ihrem moralischen Paradigma dafür hält - Vater, Mann, Kind.

Menschen sind viel zu sehr mit sich beschäftigt, ihren Dämonen, ihren Komplexen, ihren Eltern, ihrer Geschichte, ihren Intrigen, ihren Trieben, ihrem Menschsein, als dass sie sich auf das Große Ganze konzentrieren könnten statt es nur zu instrumentalisieren oder sich völlig davon zurückzuziehen.

Diese Menschen sind bei Franzen aber nicht nur die anderen, die global agierenden Unternehmen, die ihnen assistierenden Politiker, die ganzen Arschlöcher. Sondern speziell auch die Leute, die sich der Verbesserung der Welt verschrieben haben, dem Kampf gegen Überwachung, für Aufklärung, für unabhängigen Journalismus, für die sozialökologische Transformation.

Die Emanzipierten, die die alte, klassisch strukturierte Gesellschaft und Familie in der Folge von 1968 durch etwas Besseres und Reineres und Gerechteres ersetzen wollten. Die aber hauptsächlich bei sich selbst landeten und einer blitzsauberen Selbstgerechtigkeit. Was da genau schiefgelaufen ist und wie es anders und besser geht, das ist die große Frage, die wir jetzt beantworten sollten.

Denn es gibt keinen Zweifel, wen Franzen meint: Uns.

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