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Der zeozwei Wochenüberblick #3 Die Geburt des Staatsbürgers?

Die Fünf-Minuten-Lektüre für Ökofreunde und Ökohasser: Informativ und unterhaltend, empathisch und bissig, intellektuell und populär.

Freiwillige Helfer sortieren in Frankfurt am Main im Hauptbahnhof selbst mitgebrachtes Obst. Bild: dpa

Sie sind freiwillig unterwegs, sie wurden nicht zwangsverpflichtet, ja noch nicht mal gerufen. Sie helfen, weil sie es wollen. Die Gesellschaft hält die Grundversorgung in den Kommunen und an den Bahnhöfen aufrecht, teilweise im administrativen Chaos, das Merkel, Gabriel und De Maiziere verursacht haben, weil sie die Flüchtlingssituation sehenden Auges eskalieren ließen, ohne rechtzeitig entsprechende infrastrukturelle Maßnahmen zu ergreifen.

Haben wir es mit einem Comeback des Bürgers zu tun? Nein, denn das gab es ja noch nie. Wenn, dann ist es die Entdeckung des Bürgers, eine Selbstermächtigung, die - da tausendfach geschehen - „etwas Neues in der deutschen Geschichte ist”, wie Gustav Seibt in der SZ in einer bemerkenswerten Hommage an den Bürger schreibt.

Harald Welzer hat bereits im Spiegel diagnostiziert, die Deutschen hätten „in einem Moment, in dem es darauf ankommt, den Abstand zwischen Werten und Taten so verringert, wie es in der Nachkriegsgeschichte noch nicht der Fall war”. Die Grüne Spitzenpolitikerin Katrin Göring-Eckardt sagte diese Woche in der Talksendung „Plasberg” ohne mit der Wimper zu zucken: „Ich bin stolz auf dieses Land”.

Selbstverständlich kann man nicht komplett realitätsblind sein und nun den nächsten Hype durchs Dorf jagen: Die engagierten Bürger werden nicht die nächsten Monate und Jahre das aufrecht erhalten können, was ein Politiker im vertraulichen Gespräch mir gegenüber als „Parallelgesellschaft der Helfer” bezeichnet hat. Parallel oder vielmehr entgegengesetzt zum staatlichen Chaos. Man muss jetzt nicht in Agit Prop verfallen und das absolute Gute beschwören, wo wir doch wissen, dass die Realität immer ambivalent ist und sein muss.

Aber man darf doch konstatieren, dass neben Materialismus und Egoismus auch „grüne Werte”, ein anderes Verständnis von Weltgesellschaft, in Teilen der Bevölkerung gelebt werden. Und zwar zunehmend bei Leuten, die die Grünen überhaupt nicht wählen. Die große politische Frage wird jetzt sein, was die Grünen und auch SPD und CDU daraus machen. Und ob man die Zukunft doch noch so ernsthaft politisch angeht, dass man den Hauptgrund künftiger Volkswanderungen endlich anpackt: Den Klimawandel.

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