: Der wilde John als Favorit der Gefühle
■ Nur Boris Becker kann heute gegen Andre Agassi ein US-amerikanisches Finale verhindern, denn John McEnroe muß sich mit Lendls Bezwinger Pete Sampras herumschlagen
New York (dpa) - Boris Becker spielt gegen Amerika. Nur der deutsche Titelverteidiger kann im Halbfinale gegen Andre Agassi am Super-Samstag noch das erste rein amerikanische Endspiel seit 1979 verhindern. „Solche Spiele reizen mich“, sagte der Leimener nach seinem überzeugenden 3:6, 6:3, 6:3, 6:2 im Viertelfinale gegen Aaron Krickstein (USA), „ein Halbfinale gegen Agassi, das ist einfach stark.“ Ein Amerikaner wird auf jeden Fall am Sonntag im Finale stehen, der 31jährige John McEnroe oder der zwölf Jahre jüngere Pete Sampras.
John McEnroe triumphierte zuletzt 1984, danach gab es nur noch europäische Erfolge. Der heutige „Super-Saturday“, wie der TV-Sender CBS den fernsehgerechten vorletzten Tag der US Open mit den beiden Herren-Halbfinals und dem als „Sandwich“ eingeklemmten Damen-Endspiel verkauft, verspricht Spannung wie lange nicht mehr. Und Entertainment lieben die New Yorker über alles. Die beiden letzten Viertelfinals am Donnerstag waren in dieser Hinsicht eine Enttäuschung. Boris Becker machte gegen Krickstein nach schwachem Start kurzen Prozeß, und Agassi deklassierte Andrej Tscherkassow (UdSSR) in nur 112 Minuten 6:2, 6:2, 6:3.
Kaum war der letzte Ball geschlagen, begann das Ballyhoo. Der Paradiesvogel aus Las Vegas, nach Topleistungen und nur einem Satzverlust zum dritten Mal hintereinander im US Open -Halbfinale, verbeugte sich, winkte und warf sein neongrünes Shirt in die Menge. „Diese Kleidung repräsentiert, das was Amerika ausmacht. Gerade die New Yorker lieben den Wechsel“, erklärte Agassi tiefsinnig im Stile eines US-Präsidenten.
Er respektiere Becker, fürchte ihn aber nicht. „Ich spiele hier das beste Tennis meines Lebens. Boris ist dafür bekannt, daß er sein bestes Tennis immer im richtigen Moment spielt. Vielleicht sagt man das nach Samstag auch von mir. Wer mich schlagen will, muß hart dafür arbeiten“, meinte Agassi.
„Becker hat alles Selbstvertrauen der Welt“, so sein Viertelfinalgegner Krickstein, „vor allem in wichtigen Momenten.“ Viermal hat der dreimalige Wimbledonsieger bisher gegen Agassi gespielt und dabei nur im März dieses Jahres in Indian Wells 4:6, 1:6 verloren. Der dramatische Fünf-Satz -Sieg Beckers im Daviscup-Halbfinale 1989 in München gilt heute schon als ein Klassiker der Tennis-Geschichte.
Noch nie hat Becker bei einem Grand-Slam-Turnier von Beginn an so konstant und gut gespielt. „Ich bin beinahe Nummer eins. Deshalb ist diese Saison keineswegs enttäuschend, selbst wenn ich meinen Titel nicht verteidige“, resümiert Becker.
John McEnroe ist der Favorit der Gefühle. Das Publikum liebt den New Yorker, der Enttäuschungen so haßt. Nach jedem seiner Siege im Louis-Armstrong-Stadion stand er in der Mitte des Platzes und streckte seinen rechten Arm in die Höhe wie die Freiheitsstatue.
Es war wie früher. McEnroe hustete an der Grundlinie herum, er zupfte sich nervös an der Hose, und sein Aufschlag sauste unberührt in die Blumen am Ende des Platzes. Der Linkshänder spielte mit den Gegnern, die bisher gut, aber nicht sehr gut waren. Sogar New Yorks Bürgermeister David Dinkins freute sich über die „Wiedergeburt des verlorenen Sohnes“.
„Ich habe das nicht erwartet“, freute sich McEnroe, der mit seinem 6:1, 6:4, 6:4-Erfolg über David Wheaton (USA) zum ersten Mal seit 1985 wieder im Halbfinale der US Open steht. „Ich habe es erhofft, ich habe davon geträumt. Nun ist alles ist möglich“, hofft das Enfant terrible des Tennissports. Vor einem Monat noch hat er in Toronto gegen Pete Sampras knapp verloren. Der 19 Jahre alte Kalifornier will alles, weil es die Meisterschaften der USA seien und ein Amerikaner sie auch gewinnen sollte.
„Wenn ich schon ausgeschieden wäre, würde ich McEnroe die Daumen drücken“, sagte der Aufsteiger des Jahres, „aber ich bin noch da, und ich habe verdammt viel Selbstvertrauen.“
Herren-Doppel, Halbfinals: Pieter Aldrich/Danie Visser (Südafrika) - Brian Garrow/Sven Saluma (USA) 4:6, 7:6, 3:6, 7:6, 6:2; Paul Annacone/David Wheaton (USA) - Pat Galbraith/Kelly Jones (USA) 7:6, 7:6, 6:7, 7:6
Mixed, Finale: Elisabeth Smylie/Todd Woodbridge (Australien) - Natalia Zwereva/Jim Pugh (UdSSR/USA) 6:4, 6:2
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