Der untote Riese

Vor elf Jahren wurde die AEG aufgelöst, doch verschwunden ist der einstige Weltkonzern noch lange nicht. Mit dem Namen lässt sich Geld verdienen

Vor 100 Jahren wurde die AEG gegründet. Sie war der größte Konzern der Welt Die Marke ist beliebt. Doch eigentlich weiß keiner, dass es AEG gar nicht mehr gibt

VON JAN STERNBERG

Es begann mit der Glühbirne. Aber womit endet es?

Am 5. Mai 1883 lässt Emil Rathenau die „Deutsche Edison Gesellschaft für angewandte Electricität“ ins Berliner Handelsregister eintragen. Sie vermarktet die Erfindung des US-amerikanischen Erfinders Thomas Alva Edison im deutschen Kaiserreich. Aus der „DEG“ wird bald die „AEG“ und die bereits 1907 zum größten Konzern der Welt. Keine Firma hat sich im Laufe der Jahrzehnte so flächendeckend über Berlin ausgebreitet wie Rathenaus Konglomerat. 50.000 AEG-Rentner leben in der Stadt, sagt Jürgen Schmalfuß vom Deutschen Technikmuseum, der das Firmenarchiv betreut. Heute ist der Riese verschwunden, ebenso wie die Industriemetropole Berlin.

Die AEG ist seit elf Jahren tot. Aufgelöst. Und dennoch kann man mit ihr noch Geld verdienen. Denn ihre Marke lebt weiter. Nicht immer sehr glamourös. Im Erdgeschoss des Billigkaufhauses am Halleschen Tor stauben einige Kartons mit Fernsehern vor sich hin. Röhrenmodelle, nicht vom Feinsten, aber günstig. Auf ihnen klebt der Schriftzug mit den schlichten drei roten Buchstaben, den der Architekt und Designer Peter Behrens entwarf. Ein Logo, das einfach nicht kaputtzukriegen ist. Der Fernseher kommt von der Elektrotechnischen Vertriebsgesellschaft (ETV) im nordrhein-westfälischen Kempen. Von dort stammen auch die Geräte der Marken Clatronic und Bomann. Ob der Fernseher gut ist? „Weiß ich nicht“, wehrt der junge Verkäufer missmutig ab, „ich habe so etwas nicht.“

Der Mann, der sich um das Weiterleben der untoten Weltmarke AEG kümmerte, heißt Reinhard Siepenkort und sitzt in Frankfurt. Unter dem Namen EHG Elektroholding GmbH, einer DaimlerChrysler-Tochterfirma, betreibt eine Handvoll Leute „Lizenzpolitik“, wie Siepenkort sein Geschäft nennt. Eine 18-seitige Liste mit Nachfolgefirmen liegt bei Siepenkort, die Lizenzen sind weit verstreut. Sie liegen bei ehemaligen Kooperationspartnern, bei Gründungen ehemaliger Mitarbeiter, die sich um die Wartung und Modernisierung der alten AEG-Großanlagen kümmern – und eben auch bei findigen Firmen, die von der alten Weltmarke profitieren wollen und die drei Buchstaben auf ihre Produkte kleben.

„Die Marke AEG ist heute noch sehr viel wert“, sagt Siepenkort. „Das liegt am Image und an der Tradition – schließlich ist sie über 100 Jahre alt.“ Was das Geschäft mit den Lizenzen pro Jahr einbringt, sagt er nicht. Dafür betont er, dass man den Namen nicht einfach so verscheuert habe: „Wir halten die Lizenznehmer dazu an, uns die Produzenten zu nennen, damit wir sichergehen können, dass das vernünftige Produkte sind, die dem immer noch hohen Anspruch der Marke gerecht werden.“

In Nürnberg, bei der deutschen Tochter des schwedischen Electrolux-Konzerns, war man nicht ganz zufrieden mit Siepenkorts Lizenzpolitik. Electrolux hält schon seit 1993 die Hausgerätesparte der AEG, auch ein Monument der Tradition. Die Nürnberger „Lavamat“-Waschmaschinen waren der Verkaufsrenner zu Wirtschaftswunderzeiten, sie prägten das Image des Konzerns, auf sie war der Spruch „Aus Erfahrung gut“ hauptsächlich gemünzt. Wer die Marke AEG heute sucht, trifft als erstes auf die „weiße Ware“ von Electrolux, das die drei Buchstaben seinem Logo hinzugefügt hat.

„Wir verwenden AEG-Electrolux als Doppelmarke, es ist neben Electrolux die zweite Premiummarke des Konzerns“, sagt Pressesprecher Michael Eichel. Dafür mussten sie erst einmal die Namensrechte an der gesamten AEG kaufen. Die Frankfurter EHG von Reinhard Siepenkort wollte ihnen verwehren, die Doppelmarke zu benutzen – zudem war Electrolux die Frank-furter Lizenzpolitik wohl zu freizügig. „Auf laufende Verträge können wir auch jetzt zwar keinen Einfluss nehmen“, sagt Michael Eichel, „mittel- und langfristig wollen wir das aber ändern.“

Bleibt nur die Frage, wer die Marke mehr beschädigt hat. Vor vier Wochen schloss Electrolux das Nürnberger Stammwerk. Die AEG/Electrolux-Waschmaschinen kommen jetzt aus Polen, die Geschirrspüler aus Italien. In Nürnberg wird noch verwaltet und entwickelt, aber nicht mehr produziert. Das tut nun noch allein das Werk Rothenburg ob der Tauber, hier stellen 1100 Mitarbeiter Herde und Kochmulden her.

Für Reinhard Siepenkort ist die Schließung des Nürnberger Werks ein „Unfall“, auch weil er so breit durch die Presse ging. „Wir haben versucht, die Marke so wenig wie möglich zu beschädigen, dann dürfen solche Unfälle aber nicht oft passieren.“ Der Aufschrei der Nürnberger AEGler, ihr letztlich erfolgloser Protest gegen die Schließung hat die Marke noch einmal ins Rampenlicht geschoben – in einer Weise, die den Lizenznehmern nicht gefallen konnte.

Bei Miriam Nölke klingelte ständig das Telefon. Sie ist bei der Firma ITM für das Marketing zuständig – die Firma hat die AEG-Markenlizenzen für Unterhaltungselektronik und Telefone erworben. „Bei mir haben viele verärgerte Kunden angerufen und sich beschwert, dass wir das Werk in Nürnberg schließen, dabei haben wir mit Electrolux nichts zu tun.“ Plötzlich hatte sich der Marketingvorteil, auf den ITM setzt, in einen Nachteil verkehrt: „Eigentlich weiß keiner, dass es die AEG nicht mehr gibt“, meint Miriam Nölke. Die ITM konnte kein Werk schließen – sie hat keines. Die Firma kauft weltweit ein, selten kommt ein Gerät aus Deutschland, der Großteil der Ware stammt aus Fernost. Für Fernseher und sonstige Kleinelektronik hat ITM die Lizenzen an die ETV aus Kempen weitervergeben. So kommt deren Fernseher ans Hallesche Tor.

Fragt man Reinhard Siepenkort, welche Lizenznehmer denn noch in Deutschland produzieren, kann er zumindest für die Unterhaltungsindustrie eine klare Antwort geben: „Gar keiner. Wie soll das denn auch gehen?“

Und wenn es doch einer tut, hat er noch lange nicht den Namen. Transradio heißt eine Spandauer Firma für Sendertechnik, 77 Menschen arbeiten dort. Gegründet wurde sie von ehemaligen Telefunken-Mitarbeitern. Doch für den Namen sollten sie zahlen. Es kam zu keiner Einigung, sie suchten sich eine neue Marke: Transradio hieß die Tochterfirma, die seit 1918 in Nauen den ersten Sender betrieb. Manchmal muss man sich verschüttete Tradition neu erschaffen, wenn die bekanntere zu teuer ist.

Ewald Mahr gibt es eine Art nostalgischer Genugtuung, dass die Marke AEG stärker ist als der Industriestandort Deutschland, wie er sagt. Ewald Mahr hat 33 Jahre für die AEG-Tochter Telefunken, die 1967 mit der Mutter zu AEG-Telefunken vereinigt wurde, in Berlin gearbeitet. Er war Personalleiter, er musste 1977 gegen massive Proteste das Werk Ackerstraße schließen. „Von da an ging es bergab“, sagt er. „Heute sind wir in Berlin ja völlig entindustrialisiert. In unserem Werk in der Sickingenstraße in Moabit ist heute das Arbeitsamt drin, das sagt doch schon alles.“

Gerade hat sich Mahr ein CD-Gerät gekauft. Auf dem Gehäuse steht AEG. Den Telefunken-Stern hat er sich selber danebengeklebt. Wer das Gerät wo produziert hat – Mahr weiß es nicht. Aber es funktioniert, sagt er.