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Der unbekannte Weltmeister

■ Casting: Angeln ohne Fisch unter dem Motto: „Wahrscheinlich guckt wieder kein Schwein“

Aus Konstanz Holger Reile

Weltmeister kennt man in der Regel, sie laufen nicht im Dutzend herum und sind an zwei Händen abzuzählen. Der amtierende Casting–Weltmeister Felix Lachnit aber ist die wohl unbekannteste Sportgröße zwischen Flensburg und Konstanz. Casting? - Wasn das? Lachnit hat sich an diese Frage gewöhnt: „Minderwertigkeitskomplexe hab ich deswegen keine.“ Dazu besteht auch kein Anlaß, denn kaum einer kann mit seinen Erfolgen mithalten: Gewinn der Weltmeisterschaft mit der Mannschaft 1985 in Toronto, zweimal Gold, dreimal Silber und zweimal Bronze beim Weltturnier vergangenes Jahr in Spanien. Wer Caster werden will, braucht eigentlich nur den Gang ins Angelsportgeschäft anzutreten, denn eine Angelrute ist das wichtigste Utensil der Caster. „Casting“, was übersetzt „Werfen“ bedeutet, gilt als der Wurfsport der Sportfischer. Zwei Grunddisziplinen bestimmen die jeweiligen Wettkämpfe: Der Weitwurf mit kleinen Bleigewichten und der Zielwurf mit fliegenähnlichen Projektilen. Felix Lachnit bringt das Geheimnis seiner sportlichen Erfolge trocken auf den Punkt: „Es geht eigentlich nur darum, genauer und weiter zu werfen als die anderen.“ Das klingt einfach, ist es aber nicht. Denn beim Zielwurf die Plastikfliege aus etwa 50 Meter Entfernung präzise auf eine gewöhnliche Zielscheibe zu plazieren, das setzt hartes Training voraus. Für sein Weitwurftraining geht Felix Lachnit ins Bodenseestadion, denn für die Würfe über die Hundert–Meter–Marke braucht er eine gute Fußballplatzlänge. Da steht er dann oft frühmorgens allein in dieser riesigen Arena und schleudert ein kleines Bleigewicht von einem Fußballtor zum anderen - ein fast schon groteskes Bild. Kopfschüttelnd bleibt manchmal das ein oder andere Rentner–Dackel–Duo stehen und fragt sich verwundert, was denn der Typ mit der Angelrute in einem Fußballstadion zu suchen hat. Vom Sportfischen selbst hält der Casting–Champ nicht viel. Er sieht keinen Sinn darin, wenn bei den Wettkämpfen tonnenweise Fisch an Land gezogen wird und zum Teil unverzehrt an irgendwelchen Uferböschungen vergammelt. Zum Casting kam er durch Zufall. Als 14jähriger beobachtete er Angler, die für die Sportfischerprüfung übten. Interessiert hat den damals in Hessen lebenden Lachnit, „ob ich das auch kann“. Er konnte, wurde Jugendmeister und schaffte innerhalb kürzester Zeit den Sprung in die Nationalmannschaft. Seine Brötchen verdient der zur Zeit weltbeste Caster als medizinischer Bademeister und Masseur. Packt ihn da nicht manchmal die stille Wut, wenn er mitansehen muß, wieviel Geld in anderen Sportarten zu holen ist? „Vom Casting kann ich nicht leben, da würd ich verhungern. Aber das war mir von Anfang an klar. Ich wollte ja nur der beste Caster werden, und nun bin ichs.“ Basta - das Jammern ist nicht die Sache des Felix Lachnit. Obwohl, Grund dazu hätte er, denn die finanzielle Unterstützung ist geradezu lächerlich, gemessen an anderen Sportarten. 500 Mark Sporthilfe pro Jahr, Reisekosten und Verpflegung für die Wettkämpfe werden bezahlt, manchmal ein paar Schnüre und Rollen von einer Angelfirma - aber das wärs dann auch schon. Im Herkunftsland des Casting, den USA, ist dieser Sport weitaus beliebter. „Dort“, so erzählt Lachnit, „gibt es einige, die vom Casting leben können. Die ziehen mit Wohnmobilen von Turnier zu Turnier, da gibt es Geld– und Sachpreise, naja...“ Doch das alles verdrießt ihn nicht. Bei den nächsten Weltmeisterschaften will er seinen Titel verteidigen. Ob es klappt, weiß er heute noch nicht. Doch eines weiß er: Er ist der wohl unbekannteste Weltmeister in der Bundesrepublik.

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