piwik no script img

taz FUTURZWEI

Der taz-FUTURZWEI-Kommentar Nein zu Wagenknecht​

Wenn CDU und SPD den Verfassungsauftrag ernst nehmen, die Demokratie zu schützen, dürfen sie nicht mit dem Kadertrupp BSW regieren, findet Udo Knapp.

Udo Knapp ist gegen Koalitionen mit Sahra Wagenknechts Kadertruppe Foto: Michael Kappeler/picture alliance/dpa

taz FUTURZWEI | Das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) hat etwa 600 Mitglieder. Landesweit. Bis zum März 2024 gab es 8.000 Aufnahmeanträge. Kriterien für Verweigerung eines Beitritts zum BSW sind nicht bekannt. Bekannt ist, dass die Mitglieder von Wagenknecht handverlesen bestimmt wurden. In Thüringen waren es zum Zeitpunkt der Landtagswahl 47, in Sachsen 40 und in Brandenburg 36. Bei den Wahlen kam das BSW in Thüringen mit 15,8 Prozent der Stimmen auf 15 Sitze, in Sachsen mit 11,8 Prozent auf 15 Sitze und in Brandenburg mit 13,48 auf 14 Sitze. In Thüringen und Sachsen führt im Moment die CDU und in Brandenburg die SPD mit dem BSW Vorgespräche zu Koalitionsverhandlungen.

DAS BSW IST NACH DEN VORGABEN DES GRUNDGESETZES KEINE DEMOKRATISCHE PARTEI SONDERN EINE KADERTRUPPE.

Zum Vergleich: Die CDU hat noch etwa 370.000, die SPD 365.000 Mitglieder, die Grünen sind auf 130.000 gewachsen, die FDP hat 15.000, die AfD 11.000 Mitglieder. Die Mitglieder werden hier von den Ortsvereinen aufgenommen.

Parteien haben in der Bundesrepublik Verfassungsrang. Gemäß Artikel 21 Absatz 1 des Grundgesetzes „wirken sie bei der politischen Willensbildung mit. Ihre Gründung ist frei. Ihre innere Ordnung muss demokratischen Grundsätzen entsprechen.“ Mit dieser herausgehobenen Stellung der Parteien im Grundgesetz soll die Organisationsfreiheit politischer Positionen im Wettstreit um Amts- und Regierungsmacht verfassungsfest abgesichert werden. Die Parteien sind in unserer repräsentativen Demokratie die Brücken der Bürger zur Politik, die mit ihrer Verankerung im Volk Usurpatoren rechter und linker Provenienz von einer Machtergreifung abhalten sollen. Verstärkt wird die Verpflichtung der Parteien auf die Verfassung noch durch das in Artikel 21, Absatz 2 geregelte Parteienverbot für Parteien, „die die freiheitliche demokratische Grundordnung beeinträchtigen oder beseitigen wollen oder den Bestand der Bundesrepublik gefährden“.

Und nun die Realität: Die Parteien setzen diese Verantwortung aus dem Grundgesetz für das politische Leben in einer pluralistischen, demokratischen Kultur nur unzureichend um. In der alten Bundesrepublik waren die Parteien gemeinsam mit den Kirchen, den Gewerkschaften und Vereinen „starke innere Binde- und Prägekräfte“ mit einer eigenen, spezifischen, auch historisch begründeten Rolle im gesellschaftlichen Leben. Sie waren berechenbare Anker in unserer pluralistischen Demokratie. Es waren die Führungsstarken, die Leistungsträger aus allen gesellschaftlichen Schichten, die sich stolz und selbstbewusst einer bestimmten Partei anschlossen, um den Willen des ganzen Volkes in den Parlamenten und Regierungen umzusetzen.

Die großen Parteien haben in Ostdeutschland keine Basis

Heute sind die großen Parteien überwiegend Karrierevereine für Politologen, bestenfalls noch politische Interessenvertreter spezieller Machtgruppen. Ihre Politik wird nicht mehr bestimmt von prinzipienfesten Positionen im öffentlichen Meinungskampf der Besten um politische Hegemonie, um Macht und Einfluss, Ämter, Mandate und Zukunft. Von einem Streiten in ihren Ortsvereinen um die großen politischen Fragen, einem gemeinsamen Ringen um den richtigen Weg in die Zukunft für alle kann im Alltagsleben der Parteien keine Rede sein. Die aktuellen politischen Strategien der Parteien werden eher von ihrem ängstlichen Blick auf das volatile Hin und Her der Stimmungen in der Gesellschaft und das Aufspalten der Meinungen bestimmt, die im Interesse der eigenen Machterhaltung bedient, beachtet oder populistisch genutzt werden.

Die aktuelle taz FUTURZWEI

taz FUTURZWEI – das Magazin, Ausgabe N°30: Wer ist das Volk? – Und warum ist Rechtspopulismus so populär?

Warum der Rechtspopulismus global und in Ostdeutschland so erfolgreich ist, können wir analysieren. Wie man ihn bremsen kann, ist unklar.

Diesmal im Heft: Jens Balzer, Ines Geipel, Jagoda Marini , Maja Göpel, Aladin El-Mafaalani, Thomas Krüger, Yevgenia Belorusets, Danyal Bayaz und Harald Welzer. Veröffentlichungsdatum: 10. September 2024.

Jetzt im taz Shop bestellen

Die Versuche von Mario Voigt (CDU) in Thüringen, Michael Kretschmer (CDU) in Sachsen und Dietmar Woidke (SPD) in Brandenburg, mit dem BSW eine Regierung zu bilden, belegen diese politische Degeneration ihrer Parteien. CDU, SPD, FDP und auch die Grünen verfügen in den neuen Ländern über keine relevante, in der Bevölkerung verankerte Basis. Ihre Mitgliederzahlen sind auch 30 Jahre nach der Wende so niedrig, dass es ohne Mühe für jedes Mitglied Ämter und Mandate in Hülle und Fülle gibt.

Die neuen Länder kommen nur deshalb so gut voran, weil die Exekutive und die Verwaltungen weiterhin von erfahrenen Funktionsträgern aus dem alten Westen geführt werden. Diese Verwaltungen sind das Rückgrat der demokratisch rechtsstaatlichen Ordnung in den neuen Ländern. Von ihrer Steuerung durch Parteien kann keine Rede sein.

Innerparteiliche Demokratie gibt es beim BSW nicht

AfD und nun auch BSW füllen dieses politische Vakuum. Sie machen ein explizit politisches, allerdings systemkritisches oder systemfeindliches Angebot. Sie antworten damit auf das Bedürfnis nach politischer Führung, nach autoritär garantierter Sicherheit jenseits der nur nervenden demokratischen Konsenssuche.

Das BSW ist keine demokratische Partei nach den Vorgaben von Artikel 21 des Grundgesetzes, sondern eine Kadertruppe. Innerparteiliche Demokratie gibt es hier nicht. Die Politik von Sahra Wagenknecht zielt nicht auf Erfurt, Dresden oder Potsdam. Das Ziel ist es, der entscheidende Machtfaktor in der Bundesrepublik zu werden. Wagenknecht will die Bundesrepublik aus dem westlichen Bündnis herauslösen, sie an die Seite Putins stellen, ihm die Ukraine überlassen, das billige russische Gas zurückholen, die Energiewende einstampfen und nationalistische Schaukelpolitik zwischen Ost und West wiederbeleben.

Das Koalieren von CDU und SPD mit dieser Kadertruppe gefährdet die Glaubwürdigkeit der Parteiendemokratie in der Republik. Gemäß Artikel 21 des Grundgesetzes sind die Parteien „unentbehrliche Organisationen unseres Verfassungslebens. Ohne sie kann es eine stabile Demokratie nicht geben“, wie Udo Di Fabio sagt, ehemaliger Richter am Bundesverfassungsgericht. CDU und SPD können der Verantwortung, die aus diesem Verfassungsauftrag für sie folgt, immer noch gerecht werden. Dafür müssen sie aber statt Koalitionen mit dem BSW Minderheitsregierungen bilden oder Neuwahlen herbeiführen.

■ UDO KNAPP ist Politologe und kommentiert an dieser Stelle regelmäßig das politische Geschehen für das Magazin taz FUTURZWEI.