Der taz FUTURZWEI-Kommentar: Ach, Corona – was soll's?

Die liberalen Kosmopoliten haben keine Zeit für Menschheitsprobleme. Sie sind mit sich beschäftigt. Noch geht es auch ohne sie.

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Von UDO KNAPP

„Es geht darum, wie liberale Politik unter den politischen und wirtschaftlichen Bedingungen von Globalisierung diese (Menschheits)-Probleme lösen kann (Klimakrise, Arm-Reich-Schere etc.). Es geht jedenfalls nicht ohne eine liberaldemokratische Mehrheit.“Peter Unfried in der taz am Wochenende

Die liberale Elite, die liberalen Kosmopoliten, auf die in dem obigen Zitat für den Zukunftspfad der Zivilisation gesetzt wird, scheinen leider gerade mal wieder mehr mit sich selbst beschäftigt zu sein, als mit den drängenden Problemen der Menschen-Zukunft.

Tenor: Ach so, Corona, was soll's.

Die Maske wird gelassen getragen, aber das war`s dann auch schon. Am Lebensstil dieser liberalen Kosmopoliten hat sich, bis auf Kleinigkeiten, kaum etwas geändert. Sie sitzen in ihren Lieblingsrestaurants zwar auf Abstand, aber in ihren Straßencafés und den Parks dann doch eher eng beieinander. Sie fahren jetzt wieder Auto und besonders gern teure Fahrräder, weil U-Bahnen, Busse und Züge ihnen eben doch zu unsicher sind. Sie unterrichten ihre Kinder beim Homeschooling dermaßen streng, dass sich die Kids nach ihren Lehrern sehnen. Sie regen sich allenfalls darüber auf, dass sie zu wenig Zeit für ihre Arbeit im Homeoffice haben. Und sie fahren dieses Jahr eben in die Uckermark oder an die Ostsee statt in die weite Welt. War da was?

War da was? 

Ja, da ist was. Amerika driftet mit Trump dramatisch in Richtung illiberale Demokratie. Bolsonaro verbrennt die letzten Regenwälder für die Viehbarone, die uns das gute Rindfleisch liefern, und lässt zugleich seine Leute an Corona verrecken. Putin lässt sich mit manipulierten Plebisziten zum Ewigkeitschef der Russen küren, führt nebenbei Kriege in Syrien, in Libyen und bedroht seine europäischen Nachbarn. Erdogan arbeitet ungehindert und mit Waffengewalt am Wiederaufbau alter türkischer Herrschaftsräume und Xi Jin Ping betreibt aggressiv, brutal und ohne Gegenwehr den Export seines kapitalistischen Überwachungsstaates in die ganze Welt. Nicht zu vergessen die Mullahs im Iran – die arbeiten fanatisch an ihrem Ziel, Israel auszulöschen, und bauen dazu trotz internationaler Verträge ungehindert an ihrer Atombombe weiter.

Andererseits gibt es gute Nachrichten, insbesondere aus der Bundesrepublik. Unter Kanzlerin Merkels Führung ist in der letzten Woche von der Regierungskoalition im Bundestag der Kohleausstieg beschlossen und die europäische Dekarbonisierung auf den Weg gebracht worden. In der gleichen Sitzungswoche wurde mit großer Mehrheit die Grundrente beschlossen. Damit wurde der bundesdeutsche Sozialstaat zukunftsfester und sozial gerechter stabilisiert. Es erstaunt, aber die deutschen Unternehmen haben offensichtlich begriffen, dass sie nur auf  ökoindustriellen Entwicklungs- und Investitionspfaden Zukunftschancen auf den Weltmärkten haben werden und handeln entsprechend. Elektromobilität, Wasserstoffstrategie und KI-Technologien sind auf dem Vormarsch.

Dass es dabei holpert und soziale Verwerfungen in großem Umfang geben wird, wird noch nicht grundsätzlich politisch adressiert und erschreckt bisher in der Öffentlichkeit nicht wirklich. Frau Merkel und Frau von der Leyen haben die deutschen Pflicht- und Führungsaufgaben in Europa ohne viel Aufhebens wieder aufgenommen. Die Beiden werden die EU im nächsten halben Jahr deutscher Ratspräsidentschaft sicher ein gutes Stück auf dem Weg zu einem europäischen Bundesstaat weiter voranbringen. Die Corona-Strategie der Bundesregierung, von Merkel, Scholz und Spahn unaufgeregt und cool gesteuert, war bisher ein voller Erfolg. Auch wenn die gockelnden Länderfürsten den Erfolg durch ihr Machtgehabe immer wieder gefährden. Anders als in den USA hat die Wissenschaft auf offener Bühne und konstruktiv die politische Führung legitimiert. Das ist wesentlich, weil in Zukunft evidenzbasierte Entscheidungen der Politik anstelle ideologischer Erfindungen zwingend werden.

Selbst Corona kann uns nichts

Auch wenn die zweite Corona-Welle im Herbst kommen wird und die wirtschaftlichen Folgen mit hoher Arbeitslosigkeit und vielen Strukturbrüchen erst dann sichtbar werden, ist die Bundesrepublik grundsätzlich gut aufgestellt, um mit den Folgen dieses großen Umbruchs zivilisiert fertig zu werden. Wir leben in fast der ganzen EU – schon ohne die Briten und mit ungeregeltem Brexit – von außen betrachtet, wie in einer von den Händeln und Bedrohungen gut abgeschirmten, heilen Welt. Selbst Corona kann uns nichts. Die politische Öffentlichkeit in der Bundesrepublik funktioniert. In den Printmedien werden jeden Tag und jede Woche mit so vielen Beteiligten so erstaunlich breite und tiefgehende Debatten in einem Umfang und mit einem Anspruch geführt, dass die Zeit nicht ausreicht, alles zu lesen.

Was will ich damit sagen?

Unfrieds liberaldemokratische Mehrheit muss gar nicht erst mobilisiert werden, sie ist schon die stabile, unaufgeregte, erfolgreiche, möglicherweise zu selbstsichere, aber fest-demokratische Mitte der Republik. Die Zustimmungswerte in den Umfragen für die CDU/CSU, die Grünen und die SPD signalisieren – in welcher Regierungskonstellation auch immer – stabile demokratische Mehrheiten auch nach der Bundestagswahl 2021.

Beunruhigend ist aber, dass von denjenigen so wenig kommt, die sich für politische Bürger halten und sehr gern so reden. Und dass ihre Geeignetsten viel zu wenig Lust, Leidenschaft, Willensstärke und aristokratisches Format für die großen Ämter und Aufgaben in der Politik zeigen und darum kämpfen. Merkel ist so betrachtet eine Große und auch Schäuble zeigt immer wieder großen, strategisch gut begründeten Führungswillen. Gleiches gilt auch für Scholz. Die Jungs-Riege der möglichen Merkel-Nachfolger in der Union dagegen wirkt, mit Ausnahmen von Spahn, eher wie eine sich selbst überschätzende Gang von Möchtegern-Riesen. Und auch den Grünen-Vorsitzenden Baerbock und Habeck gelingt es bisher nicht, zu zeigen, dass sie jenseits grüner Pflichtrhetorik in der Lage wären, Merkels Platz einzunehmen.

UDO KNAPP ist Politologe und war der letzte Vorsitzende des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes (SDS). In der aktuellen Ausgabe von taz FUTURZWEI analysiert er, wie man produktiv damit umgehen kann, dass durch Corona alle ärmer werden.

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