Der taz FUTURZWEI-Kommentar: Jugend ohne Zukunft?

Die Corona-Milliardenhilfen und fehlende Steuereinnahmen nehmen der jungen Generation in ganz Europa die Chance auf Zukunftsgestaltung. Ein Vorschlag.

Bild: dpa

Von UDO KNAPP

Die Bundesregierung hat in den letzten Wochen Milliarden an staatlichen Hilfen gegen die unmittelbaren wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie verfeuert. Ob sie zielgenau eingesetzt waren, ist undurchschaubar, spielt aber haushaltspolitisch betrachtet keine Rolle mehr. Zusätzlich sinken schon jetzt die Steuereinnahmen. In diesem Jahr sind es 100 Milliarden Euro an Einnahmen, die fehlen.

Derweil wird die Corona-Geldklatsche weiter eingesetzt. Jetzt folgen europaweit  und in großem Stil die kostspieligen, aber unverzichtbaren Konjunkturprogramme. Alle diese Corona-Milliarden werden überall in Europa  über Kredite finanziert. Kredite müssen zurückgezahlt werden, der Aufwand für Zins und Tilgung aus den öffentlichen Haushalten wächst in ganz Europa gewaltig.

Ob ein breites ökologisches oder nicht ökologisches Wachstum das Abtragen dieser gewaltigen Corona Schulden in überschaubaren Zeiträumen möglich machen wird, ist durchaus offen. Ohne breite, alle betreffende Steuererhöhungen wird es jedenfalls nicht gehen – da kann die geschätzte Bundeskanzlerin Merkel heute erzählen, was sie will.

Ohne Steuererhöhungen wird es nicht gehen

Tatsache ist: die Corona-Milliarden schränken die Gestaltungsräume der öffentlichen Haushalte überall in Europa schon jetzt und zunehmend dramatisch ein. Den Jungen, den zuständigen Machern eines freiheitlichen, aufgeklärten, ökologischen und digitalen Morgen werden gerade jetzt die Mittel und Instrumente für das Gestalten ihrer Zukunft aus der Hand geschlagen. Die Frage ist, wie beides, das Bedienen der Corona-Schulden und das Offenhalten von Zukunftspfaden für die Jungen gleichzeitig erreicht werden kann. Mit rein fiskalischen Instrumenten auf nationaler Ebene nach dem „Jeder macht Seins“-Motto kommt in Europa keiner weiter.

Auch die Euro Bonds sind, genau betrachtet, rein fiskalische Instrumente, die zwar die Schuldenlast der EU-Länder teilweise EU-weit vergemeinschaften, den Unsinn nationaler, sinnlos konkurrierender Entwicklungspfade innerhalb der EU aber nur verlängern würden.

Jetzt geht es darum, größer zu denken – im Interesse des Offenhaltens von Zukunftspfaden. Angeregt von den erfolgreichen Erfahrungen des Fonds „Deutsche Einheit“ in einem Sondervermögen des Bundes zur Finanzierung des Wiederaufbaus der fünf neuen Bundesländer ist ein EU-weiter Corona-Lastenfonds als Sondervermögen der EU vorstellbar. Alle EU-Länder übertragen ihre Corona-Sonderlasten in diesen EU-Corona-Lastenfonds und finanzieren gemeinsam – in Abhängigkeit von ihrer Wirtschaftsleistung – das Bedienen dieser gewaltigen Kreditsumme. Damit das Zurückzahlen nicht jeden Handlungsspielraum für gestaltende Zukunftspolitik von vornherein verschließt, wird dieser Fonds als Ewigkeitsfonds mit entsprechend niedriger Tilgung und niedrigen Zinsen aufgelegt – sagen wir mal auf hundert Jahre.

Ein gemeinschaftlicher EU-Lastenfonds

Zwar erhöht sich auf diesem Weg insgesamt die Zinslast, aber das ist bei der Abwägung aller Wirkungen über den langen Zeitraum gut zu ertragen. Der Coronavirus, die Pandemie und der EU-Corona-Lastenfonds werden auf diesem Weg zu einem historischen Momentum für eine echte Vertiefung der EU. Denn wenn alle EU-Länder, die Starken und die Schwachen, ihre Lasten aus der Corona-Pandemie verbindlich gemeinsam teilen, dann müssen im Gegenzug die EU-Institutionen, die diese Lasten und ihre Abarbeitung garantieren, zu politisch handlungsfähigen Subjekten und umfassend demokratisch legitimierten Institutionen werden.

Vergemeinschaftung der Corona-Lasten in einem Ewigkeitsfonds gegen ein vollwertiges, EU-weit verbindliches Haushaltsrecht des EU-Parlaments, Herstellen eines politischen Lebensraumes Europa durch einheitliche Wahlen in allen EU-Ländern mit europaweiten Parteien und einer Wahl der EU-Kommission durch das EU-Parlament: Mit einem solchen Projekt würden die Corona-Lasten in ganz Europa verteilt. Und gemeinsam würde für die Jungen in allen europäischen Regionen der politische Handlungsspielraum erhalten, ja sogar ausgeweitet.

Ein derart selbstbewusst und souverän aus der Corona-Krise hervorgegangenes Europa könnte in der neuen geopolitischen Welt eine seiner historischen, gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Kraft entsprechende Rolle einnehmen – und mit verstärktem Gewicht aktiv handelnd ein ökologisches, digitalisiertes, freiheitliches und zivilisiertes 21. Jahrhundert  voranbringen.

UDO KNAPP ist Politologe und war der letzte Vorsitzende des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes (SDS). In der aktuellen Ausgabe von taz FUTURZWEI analysiert er, wie linke „Verteilungsgerechtigkeit“ von populistischen und autoritären Regierungen wie Polen, Ungarn, Russland, China instrumentalisiert wird.

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