Der taz FUTURZWEI-Kommentar: Schluss mit der Corona-Geldklatsche

Hinter dem Geldverteilen der Regierung und der Erwartung der Bürger steckt die Weigerung, das Ausmaß der Krise anzuerkennen.

Bild: AP

Von UDO KNAPP

Bis es einen Impfstoff gegen das Coronavirus weltweit und für jeden verfügbar gibt, müssen alle Gesellschaften mit dem Auf und Ab der Infektionen, dem Steigen und Sinken der Sterberate, dem Raus und Rein von Lockdown und Let Loose leben. Corona gehört mit seinen seuchenartigen Folgen mindestens für die nächsten zwei Jahre zu unserem täglichen Leben. Die wirtschaftlichen und strukturpolitischen Folgen des Virus sind noch nicht abschließend überschaubar. Aber unter keinen Umständen wird alles wieder so sein wie vor der Seuche.

Dieser Epochenbruch ist im Bewusstsein unseres öffentlichen Lebens noch genauso wenig angekommen, wie in unserem privaten Alltagsleben. Die offizielle Politik erweckt und verstärkt mit ihren Euro-Hilfen in bar – für wen und was auch immer – den Eindruck, als sei diese Seuche und alle ihre wirtschaftlichen und sozialen Folgen ganz easy mit Milliarden aus der Bundesdruckerei auszutreten, wie ein vorübergehend außer Kontrolle geratenes Lagerfeuer. Die Milliarden, die jetzt rausgehauen werden, sind aber das Geld, das die Austeritätspolitik der letzten Jahre mit konsequentem Schuldenabbau bis hin zu einer Schuldenbremse als Modernitätsrendite auch für den ökologischen und digitalen Umbau der Industriegesellschaft erwirtschaftet hatte.

Die Bundesregierung hat sich unter dem Beifall aller Parteien verhalten wie meine Oma beim spätsommerlichen Fliegenangriff auf den Apfelkuchen mit ihrer Fliegenklatsche. Sympathisch, aber ohne jede strategische Überlegung wurde die Kneipe an der Ecke, der Buchladen im Szeneviertel, der Schuhladen in der Mall und die Mall selber, jeder Wohlfühl-Psycho-Coach, jeder selbständige Möchtegern-Weltmusiker oder Galerist, jeder Clubbesitzer, jede Firma innerhalb von Tagen für den Moment mit Euros ruhig gestellt. Ganz gleich, ob sie betriebswirtschaftlich gut oder schlecht aufgestellt waren, Rücklagen für Investitionen gebildet oder jeden Surplus verkonsumiert hatten. Es verwundert, so betrachtet, nicht einmal, dass sogar Clans in Neukölln Corona-Zuschüsse abgegriffen haben sollen.

Ein populistisches Mehrheitsbeschaffungsmanöver

Das alles wäre bei den im Augenblick vollen Staatskassen als wahltaktisches, populistisches Mehrheitsbeschaffungsmanöver abzuhaken.

Aber es kommt noch wilder.

Mit dem erhöhten Kurzarbeitergeld, direkten Milliardenhilfen, billig prolongierten Krediten für große und kleine Betriebe und vielem anderen mehr wird der Eindruck erweckt, dass die großen Abwehrschlachten der alten Industrien gegen Digitalisierung und Ökologisierung ihrer Produktion und unseres Lebens – durch Corona befeuert stehen sie jetzt sowieso auf der historischen Agenda – niemanden nichts kosten und auch in Zukunft nichts kosten werden. Unser Finanzminister wedelt ja mit der Geldklatsche wie meine Oma selig mit der Fliegenklatsche.

Hinter dieser Haltung der Regierung und der Erwartung der Bürger an „ihren“ Staat steckt ein dramatisches Ignorieren der Wirklichkeit. Pandemische Weltkrisen oder andere, menscheninduzierte Krisen, wie die beiden deutschen Weltkriege, reißen gestern wie heute alles Gewohnte und Gelebte brutal und unwiederbringlich ein.

Kollateralschäden sind nicht zu vermeiden

Sie zwingen alle dazu, Einzelne und politische Führer, zu neuen Horizonten aufzubrechen. Voraussetzung dafür aber ist es, dass sie die Tatsachen, die zum Neuanfang zwingen, als neue Ausgangslage akzeptieren. Kollateralschäden sind in solchen Lagen nicht zu vermeiden und nicht nur schlimm, sondern sogar hilfreich.

Baden Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann hat vor einigen Tagen dem Sinne nach gesagt, nach der Corona-Krise würden wir alle erst einmal sehr viel ärmer sein als heute. Er fragt sich wohl zu Recht, wo er bei den Haushaltsberatungen der nächsten Jahre die Millionen einsparen soll, die jetzt ohne jede Zukunftsrendite verballert worden sind. Er weiß wohl, dass es nicht abgehen wird ohne dramatische Insolvenzen und Strukturbrüche auf breiter Front, eine hohe Arbeitslosigkeit, einen breiten Lohnverzicht für viele Jahre, stagnierende Sozialtransfers, klug ausgelegte Steuererhöhungen für alle und strenge, auf ökologische und digitale Zukunft ausgerichtete Konjunkturprogramme für die Infrastruktur und die Wirtschaft.

Es erstaunt, dass jetzt dennoch viele nach Lockerungen des Lockdown schreien und sich dabei empört auf ihre individuellen Freiheitsrechte berufen. Oder andere, etwa der Grüne Anton Hofreiter, mit einem 250 Euro-Scheck für alle noch mehr Geld verpulvern wollen.

Was meine Oma sah, aber nicht verstand: Dass die Fliegenklatsche keine strukturelle Lösung für ihr Problem war. Sie haute drauf, aber es kamen immer wieder neue Fliegen. Und genauso ist es mit der Corona-Geldklatsche. Sie haut unser Geld hier und dort und da drüben raus, eröffnet aber keine gemeinsamen Zukunftshorizonte, sondern schließt sie.

UDO KNAPP ist Politologe und war der letzte Vorsitzende des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes (SDS). In der aktuellen Ausgabe von taz FUTURZWEI analysiert er, wie linke „Verteilungsgerechtigkeit“ von populistischen und autoritären Regierungen wie Polen, Ungarn, Russland, China instrumentalisiert wird.

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